Tanja Krombach

Franz Fühmann und Ludvík Kundera – eine fruchtbare, ganz der Literatur verschriebene Freundschaft als Symbol tschechisch-deutscher Geschichte der Brüche und der Gemeinsamkeiten. Beide Autoren wurden in der Ersten Tschechoslowakischen Republik geboren: Franz Fühmann 1922 in Rochlitz/Rokytnice im Riesengebirge, Ludvík Kundera 1920 in Brünn/Brno in Mähren. Während des Zweiten Weltkrieges standen die beiden späteren Freunde auf entgegengesetzten Seiten. Fühmann war in seiner Jugend begeisterter Anhänger der Nationalsozialisten, trat in die sudetendeutsche HJ, später in die Reiter-SA ein und nahm als Wehrmachtsangehöriger 1941 am Überfall auf die Sowjetunion teil. Ludvík Kundera musste nach der Schließung der Hochschulen im Protektorat Böhmen und Mähren sein Philosophiestudium abbrechen und wurde 1943 zur Zwangsarbeit nach Berlin-Spandau geschickt, von wo er ein Jahr später mit einer schweren Diphterie-Erkrankung zurückkehrte. Diese Erlebnisse konnten seine Liebe zur deutschen Sprache jedoch nicht erschüttern. Schon in der Jugend hatte der Sohn eines Tschechen und einer österreichisch-ungarischen Grazerin erste Übersetzungsversuche gemacht. Später erschließt er dem tschechischen Publikum durch seine Nachdichtungen viele ganz unterschiedliche Werke der deutschen Literatur, darunter Gedichte von Georg Trakl, Paul Celan oder Christian Morgenstern, Dramen von Schiller und Büchner, Prosa von Anna Seghers, Heinrich Böll – und Franz Fühmann.

Franz Fühmann, aus sowjetischer Kriegsgefangenschaft und nach Durchlaufen einer Antifaschule bei Moskau als Marxist nach Ostdeutschland zurückgekehrt, war bis 1958 Kulturfunktionär der Nationaldemokratischen Partei Deutschlands (NDPD), einer national ausgerichteten politischen Vereinigung, die der SED näher stand als andere bürgerliche Parteien der DDR und ehemalige Nationalsozialisten politisch einbinden sollte. Dann wirkte er als freier Schriftsteller, der sein Brot mit dem Verfassen von Kinderliteratur verdiente und in Novellen, Essays und Reportagen seine Erlebnisse als Nationalsozialist und Soldat verarbeitete.

Mit seinen Nachdichtungen aus verschiedenen osteuropäischen Sprachen wurde Fühmann bald auch zum „stillen Gesandten der tschechischen Poesie“, wie Ludvík Kundera ihn später bezeichnete. Er hatte ihn Mitte der fünfziger Jahre kennen gelernt. 1956 nahm Fühmann am Kongress des tschechoslowakischen Schriftstellerverbandes teil, auf dem der Lyriker Jaroslav Seifert seine berühmte Rede gegen die Repressionen durch den Stalinismus und ihre Auswirkungen auf die Literatur hielt.

Fühmann vermittelte Kunderas Aufsätze an die von Peter Huchel herausgegebene Zeitschrift Sinn und Form, der Freund übersetzte seine Werke ins Tschechische. 1964 gaben die beiden die Anthologie Die Glasträne mit tschechischen Gedichten des 20. Jahrhunderts heraus.

Die Niederschlagung des Prager Frühlings durch die Truppen des Warschauer Paktes im Sommer 1968 machte Franz Fühmann wie andere DDR-Autoren zu Kritikern des "realen Sozialismus". Er unterstützte oppositionelle Schriftsteller, wurde dafür von der Parteibürokratie gedemütigt und musste zunehmend in Westdeutschland publizieren. Fühmann versuchte Kundera, dessen Texte in der Tschechoslowakei seit 1968 nur noch im Samizdat erscheinen konnten, Publikations- und Verdienstmöglichkeiten beim Reclam Verlag Leipzig zu verschaffen. Kundera half ihm bei seinen Nachdichtungen tschechischer Werke wie der Lyrik von František Halas in dem 1970 beim Verlag Volk und Welt erschienenen Titel Der Hahn verscheucht die Finsternis.

Anfang der siebziger Jahre gab Fühmann Ludvík Kundera die Anregung zur Herausgabe einer Anthologie tschechischer Lyrik aus allen Epochen. Erst 1986 erschien dann die bekannte Sammlung tschechischer Gedichte aus elf Jahrhunderten Die Sonnenuhr. Sie endete mit dem Jahr 1950, um keine Kompromisse bei der Berücksichtigung offizieller und dem Auslassen von bedeutenden, aber beim Staat unbeliebten Schriftstellern eingehen zu müssen. In der zweiten Auflage von 1993 konnten dann auch ehemalige Dissidenten der fünfziger bis achtziger Jahre und Beispiele für die neueste Poesie aufgenommen werden. Dies hat Fühmann jedoch nicht mehr erlebt: Der Nachdichter und Verfasser von Poesie, Prosatexten und Kinderbüchern – ein Wahrheitssucher, dessen Leben und Schaffen die Zerrissenheit Ostdeutschlands nach dem Zweiten Weltkrieg widerspiegelt – starb 1984 mit gerade einmal 62 Jahren.

Mitveranstalter des Abends im Tschechischen Zentrum war der Franz-Fühmann-Freundeskreis, der das vielseitige Engangement seines Namensgebers fortsetzt: Er bemüht sich um den Kontakt zu tschechischen und ungarischen Künstlern, fördert junge Künstler und kümmert sich um geistig Behinderte. Da Ludvík Kundera, der an diesem Abend eigentlich über seinen verstorbenen Freund sprechen wollte, erkrankt war, gestalteten einige seiner Mitglieder den Abend mit dem Vortrag von Prosatexten und Gedichten in einer gelungenen dramaturgischen Abfolge. Außerdem wurde ein interessanter Kurzüberblick über die deutsche Rezeption tschechischer Lyrik im 20. Jahrhundert geboten – von der 1916 von Franz Pfemfert herausgegebenen Athologie Jüngste tschechische Lyrik bis heute. Gelesen wurden Kunderas Beitrag für die Fühmann-Festschrift zum 65. Geburtstag Zwischen Erzählen und Schweigen, in dem er Episoden und Augenblicke aus seiner Freundschaft mit „F.F.“ lebendig werden lässt, und von Fühmann übersetzte Gedichte, etwa von František Halas, für Kundera der größte tschechische Dichter des 20. Jahrhunderts. Beim Hören beeindruckte die Meisterschaft Fühmanns, dessen Nachdichtungen durch den freien Umgang mit dem Original und bei Wortneuschöpfungen sogar mit der eigenen Sprache, Sinn und Ton kongenial zu treffen suchen.