Übersetzer deutscher Literatur zu Besuch bei der Sommerakademie des Kulturforums östliches Europa
Jan Kixmüller

Potsdamer Neueste Nachrichten • 27.08.2005

Die Veröffentlichung erfolgt mit freundlicher Genehmigung der Potsdamer Neuesten Nachrichten.

Wenn Przemysław Chojnowski vom polnischen Słubice auf der östlichen Oderseite nach Frankfurt/Oder schaut, sieht er eine sterbende Stadt. Während auf der polnischen Seiten viele Menschen auf eine Wohnung warten, werden auf der deutschen Seite Plattenbauten abgerissen. Wohnraum, der für die meisten Polen unbezahlbar gewesen wäre. Realität in der Euroregion Viadrina am östlichen Rande Brandenburgs. Dass die dortige Universität Viadrina immer weniger polnische Studierende anzieht, kann der junge Übersetzer Chojnowski verstehen. Sie ziehen lieber in die deutschen Großstädte, wo das kulturelle Leben pulsiert. Teilweise pendeln Dozenten und Studenten der Universität sogar aus Berlin an die Viadrina.

Przemysław Chojnowski ist einer von 15 Teilnehmern der Sommerakademie für Übersetzer, die das Potsdamer Kulturforum östliches Europa jährlich mit dem Literarisches Colloquium Berlin veranstaltet. Das einwöchige Seminar richtete sich in erster Linie an junge Übersetzer deutscher Literatur. Ziel ist, die Teilnehmer für weitere Übersetzungen aus dem Deutschen zu motivieren. Przemysław Chojnowski wurde in Olsztyn (Allenstein) im ehemaligen Ostpreußen geboren. Die Geschichte seines Geburtsortes hat ihn dazu gebracht, dass er heute ostpreußische Autoren ins Polnische übersetzt.

Das umstrittene »Zentrum gegen Vertreibungen«, das der Bund der Vertriebenen (BdV) in Berlin errichten will, ist in Polen nicht nur in der Politik ein Reizthema. »Auch auf intellektueller Ebene herrscht Einigkeit darüber, dass dies keine gute Lösung wäre«, schätzt der Übersetzer Chojnowski ein. Es bestehe die Gefahr, dass damit die Geschichte Europas nur durch die deutsche Brille gezeigt werde. Eine Vernetzung zwischen deutschen und polnischen Initiativen, die an Vertreibungen im Zuge des Zweiten Weltkriegs erinnern wollen, sei zwar sinnvoll. Doch auch dieser Blickwinkel würde die zahllosen anderen Vertreibungen, die im vergangenen Jahrhundert in Europa stattfanden, außer Acht lassen.

Die Tschechin Veronika Dudková sieht in ihrer Heimat zurzeit keine Debatte zur Vertreibung. Doch es gäbe in der Bevölkerung Ängste, dass die vertriebenen Sudetendeutschen ihr Land wieder zurück haben wollen. Ängste, die man seitens des Kulturforums entkräften kann: Zur Zeit kaufen nicht die Deutschen ganze Dörfer in Osteuropa auf, sondern die Holländer. Und im mecklenburgischen Penkun siedelt sich Familien und Firmen aus dem nahe gelegenen polnischen Stettin an, zu günstigeren Preisen als in Polen.

Interessant bleibt für Veronika Dudková, wie sich die Lage in den ehemals deutschen Gebieten in Tschechien weiter entwickeln wird. Die Menschen, die nach der Vertreibung der Sudeten dort angesiedelt worden sind, hätten die Spuren der Deutschen geradezu ausradiert. Und auch nach der Wende seien es die Deutschen gewesen, die die verwilderten Gräber auf den Friedhöfen hätten pflegen müssen. Allerdings sei heute zu beobachten, dass bei der jungen Generation das Interesse an der deutschen Geschichte wächst.

Auch von der aktuellen Ost-West-Debatte in Deutschland haben die Übersetzer in ihren Heimatländern gehört. Gábor Schein aus Budapest hat die Auseinandersetzung daran erinnert, dass schon zur Wendezeit den Ungarn klar gewesen sei, dass das Zusammenwachsen der beiden unterschiedlichen deutschen Kulturen nicht ganz reibungslos verlaufen würde. »Wir waren damals verblüfft, als es in Deutschland hieß, die Einheit werde über die Wirtschaft geschaffen.« Andererseits gibt es nach Auffassung des Übersetzers heute in Ungarn eine ähnliche Nostalgie für die sozialistische Zeit wie in Ostdeutschland.

Was nicht nur Maria Zemaniková aus der Slowakei bestätigen konnte. Auch Snjezana Bozin aus Kroatien kennt die Frustration bei ihren Landsleuten: »Sie hatten es im Sozialismus einfacher, sich über Wasser zu halten«, sagt sie. Und dann sind da noch die Wunden, die der Krieg im ehemaligen Jugoslawien geschlagen hat. Die junge Übersetzerin ist sich bewusst, dass die nächsten Generationen dort keine gemeinsame Sprache mehr sprechen werden. Sie selbst kann sich mit ihren Nachbarn noch auf Serbokroatisch verständigen. Überhaupt befürchtet sie, dass der Konflikt auf dem Balkan noch nicht ausgestanden ist, dass es etwa im Kosovo jederzeit wieder losbrechen könne.


Buchpräsentation des Kulturforums: Preußen – Erbe und Erinnerung. Essays aus Polen und Deutschland. Basil Kerski (Hrsg.) heute, 21.30 Uhr, Abgeordnetenhaus von Berlin, Stresemann-/Ecke Niederkirchnerstraße.