Potsdamer Neueste Nachrichten • 17.08.2004
Serie: Neue Zeiten im Osten
Heute: PolenSeit Mai sind acht Länder des östlichen Europa Mitglieder der EU. Das Deutsche Kulturforum östliches Europa pflegt enge Kontakte in die Beitrittsländer. Die PNN wollten von den Partnern wissen, was sie von der neuen Zeit erwarten.
Dr. Rafal Dutkiewicz, wurde 1989 Sekretär des Bürgerkomitees »Solidarnosc« in Wrocław und 1990 dessen Vorsitzender. Seit Oktober 2002 ist er Präsident von Wrocław/Breslau.
Wird der EU-Beitritt Polens Ihr Leben verändern?
Mit dem EU-Beitritt Polens verbinde ich große Hoffnungen, habe aber auch meine Bedenken. Hoffnungen, weil das vereinigte Europa reelle Chancen für die Entwicklung meines Landes schafft. Spanien und Irland sind für mich das beste Beispiel dafür, wie man die Chancen nützen kann, um das Lebensniveau zu verbessern. Hoffnungen auch, weil ich erwarte, dass Breslau von den verschiedenen Europäischen Fonds Gebrauch machen kann, die beispielsweise für die Entwicklung der Infrastruktur in der Stadt angewendet werden können. Das ist für uns besonders wichtig und wir bereiten uns bereits dafür vor.
Und die Sorgen?
Mit dem Beitritt verbindet sich auch die Sorge, ob wir Polen die Chance nützen werden, ob wir es schaffen werden, die Unionsstandards schnell zu »erlernen«. Ich glaube schon. Mit meinem Optimismus versuche ich meine Mitarbeiter anzustecken. Ich habe jedoch keine Ahnung, ob oder wie sich mein persönliches Leben verändern wird. Ich glaube aber nicht, dass es zu einer radikalen Veränderung kommen sollte. Für die Einreise in die europäischen Länder brauchen wir bereits seit ein paar Jahren kein Visum mehr. Und das Lebensniveau hat sich dermaßen verbessert, dass wir ohne Probleme durch Europa reisen können. Das wissen sowohl die Deutschen, die unsere Ski-Touristen im Winter zu Gast haben, als auch die Österreicher und Italiener. Ich hoffe, dass das Stereotyp meiner Mitbürger, die schwarz arbeiten oder Autos stehlen, in Vergessenheit geraten wird, oder schon jetzt geraten ist.
Welche Rolle spielt dieWirtschaft?
Wirtschaftlicher Austausch zwischen EU-Staaten und Beitrittsländern geht in seiner Sicht immer auch mit kulturellem Austausch von Mentalitäten, Erfahrungen und Menschen einher und bildet so eine allgemeine Basis für Integration und Verständigung.
Welchen Einfluss auf die Beziehungen zwischen Breslau und Deutschland wird die EU-Mitgliedschaft haben?
Man muss sagen, dass die deutsch-polnischen Beziehungen bereits heute sehr, sehr gut sind. Wir pflegen partnerschaftliche Beziehungen mit zwei Städten in Deutschland – Dresden und Wiesbaden – es gibt viele deutsche Firmen in Breslau, deutsche Touristen bilden die zahlreichste Gruppe von Auslandstouristen in der Stadt. Außerdem wird Breslau, als erste polnische Stadt mit Deutschland durch eine Autobahn verbunden – die Reise auf der Strecke Breslau-Berlin wird kürzer dauern als die Reise von Breslau nach Warschau. Ich bin davon überzeugt, dass sich nun auch diese guten Beziehungen schneller entwickeln. Ich bin mir dessen bewusst, dass es nicht von Tag zu Tag passieren wird, aber zumindest die Richtung ist schon klar.
In Polen gibt es aber auch gerade jetzt wieder große Sorge, dass einst vertriebene Deutsche weiterhin Anspruch auf ihren ehemaligen Besitz erheben.
Ich hoffe, dass unsere Anwesenheit in der Union die Befürchtungen meiner Mitbürger beseitigen wird. Es geht mir vor allem um die älteren Leute, die in westlichen Gebieten Polens leben. Sie befürchten, dass nun die Deutschen kommen werden, um unser Land restlos aufzukaufen. Sie lassen sich nicht überzeugen, dass es nicht der Fall sein wird. Vielleicht wird sich dass aber in Zukunft verändern.
Welche Rolle spielt das deutsche Kulturerbe in Ihrer Stadt?
Eine sehr, sehr große! Wir vergessen nicht, dass das heutige Wrocław sehr lange eine deutsche Stadt war. Aber Sie dürfen auch nicht vergessen, dass es über fast 50 Jahren verboten war, darüber zu sprechen! Laut der kommunistischen Propaganda war die Stadt nur von der polnischen Piastendynastie geprägt. Und jetzt? Jetzt sind die Bewohner unserer Stadt stolz darauf, dass eben mit ihrer Stadt, vor dem Zweiten Weltkrieg zwölf Nobelpreisträger verbunden waren. Wir haben keine Angst, über die Vergangenheit unserer Stadt mit aller Offenheit zu sprechen. Wir sind dazu in der Lage und wir tun es auch. Wir zeigen die Geschichte der Stadt, die bedeutendsten Persönlichkeiten von Breslau, die Deutsche waren. Ein gutes Beispiel dafür sind die Büsten von Max Born, Fritz Haber, Gerhart Hauptmann, Ferdinand Lassalle und vielen anderen, die in unserem Alten Rathaus neben den großen polnischen Breslauern aufgestellt worden sind. Und bitte, glauben Sie mir, dass sich niemand mehr empört, wenn er »Breslau«, den deutschen Namen unserer Stadt hört. Die Zeit der Vorurteile ist vorbei.
- Keine Angst vor Breslaus Vergangenheit
Der Originalartikel in der Online-Ausgabe der PNN