Der Strukturwandel in Verlagswesen und Buchhandel und sein Einfluss auf die Lage des historischen Buches
Detlef Felken, Cheflektor des C.H. Beck Verlags
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Vortrag, gehalten beim deutsch-polnischen Verlegertreffen in Warschau (27.–28.01.2006)

Verlagswesen und Buchhandel befinden sich in Deutschland seit geraumer Zeit in einem Strukturwandel, der auch auf die Lage des historischen Buches nachhaltigen Einfluss hat. Zwei Faktoren sind hier hervorzuheben: Zum einen hat die Zahl der konzernabhängigen Verlage im Laufe der Jahre deutlich zugenommen, während die Zahl der eigenständigen, konzernunabhängigen Verlage gleichzeitig weiter zurückgegangen ist. Zum anderen verschwinden immer mehr kleine und mittlere (Traditions-) Buchhandlungen aus den Zentren der Städte, weil sie im Wettbewerb mit den expandierenden Großbuchhandlungen der Buchhandelsketten nicht mehr konkurrenzfähig sind.

Beide Konzentrationsprozesse haben die Branchenlandschaft verändert. Die Entwicklung ist noch nicht abgeschlossen, vor allem die Konzentration im Handel nimmt weiter zu, aber es ist allenthalben zu beobachten, wie sich das Kräfteverhältnis zwischen den Verlagen und den großen Ketten langsam, aber stetig zum Nachteil der Verlage verschiebt. Wer über zweihundert oder mehr Buchhandlungen gebietet, der kann gegenüber den Verlagen anders agieren als ein einzelner Buchhändler. Die Verlage wiederum brauchen die Kooperation mit solchen Partnern, um ihre Programme möglichst breit und intensiv anbieten zu können. Naturgemäß können dabei die großen Konzernverlage durch ihre Marktmacht der hinter ihnen stehenden Gruppe ein stärkeres Gegengewicht bilden als die mittleren oder kleinen Verlage, die sehr viel mehr auf das Wohlwollen des Buchhandels angewiesen sind. All das macht sich insbesondere beim ewigen Ringen um die Konditionen, aber auch im Einkaufsverhalten der großen Ketten insgesamt bemerkbar. Ihr Einfluss wird für den Erfolg (oder Misserfolg) eines Buches immer wichtiger. Ähnliches gilt auch für den Handel im Internet, wo der mit Abstand größte Akteur Amazon dank einer nunmehr erreichten Marktmacht dazu in der Lage ist, seinen Forderungen gegenüber den Verlagen entsprechenden Nachdruck zu verleihen.

Dass Konzernverlage nur an Profit interessiert sind, ist ein Vorurteil. Natürlich sehen sich auch viele Konzernverlage als Produzenten kulturellen Kapitals, und ihre Verleger wären mit Recht beleidigt, wenn man sie nur als profitgierige Manager darstellen würde. Umgekehrt können auch die Chefs selbständiger Verlagshäuser ökonomische Faktoren nicht ignorieren, wenn sie die Zukunft ihrer Unternehmen sichern wollen. Es gibt deshalb in der Realität eine große Bandbreite von Mischformen aus kulturellem Idealismus und kaufmännischem Realismus in den Verlagen. Ebenso muss man auch im Buchhandel sorgfältig differenzieren. Gleichwohl liegt es im Daseinsprinzip von Konzernen, dem Produkt in der Regel eine höhere Priorität einzuräumen als dem Inhalt. Konzerne entstehen ja meist überhaupt erst aus marktstrategischen Erwägungen und definieren ihren Erfolg deshalb vorrangig über die Wertschöpfung und den Marktanteil.

Nicht weniger gehört es zu den Eigenschaften von Buchhandelsketten, dem Warencharakter des Buches eine stärkere Beachtung zu schenken, als dies in der traditionell geführten Sortimentsbuchhandlung der Fall war. Zwar achten die Filialen in den großen Städten durchaus auf ein breit sortiertes Angebot, das ja zu ihren wichtigsten Attraktionen zählt, aber die Lagerumschlaggeschwindigkeit (also die durchschnittliche Verweildauer eines Exemplars in der Buchhandlung zwischen Eingang und Verkauf) entscheidet wesentlich über die privilegierte Behandlung und auch über die Lebensdauer eines Titels in den Filialen. Es kommt hinzu, dass die Buchhandlungen alten Stils es sich in ihrer oft finanziell bedrängten Lage immer weniger erlauben können, irgendwelche Risiken einzugehen; Basel II wird diese Situation noch verschärfen. Sie würden gern mehr anspruchsvolle, »schöne« Bücher verkaufen, aber sie haben aus Erfahrung Zweifel, ob es ihnen gelingen wird. Das führt hier wie dort dazu, dass die Programme der Verlage immer selektiver, immer vorsichtiger, in immer kleineren Stückzahlen vom Buchhandel eingekauft werden. Was nicht mit schlagkräftigen Verkaufsargumenten von den Vertretern der Verlage angeboten werden kann, das hat es schwer, überhaupt noch im so genannten Erstverkauf in den Buchhandlungen Präsenz zu erlangen. Solche Argumente sind indessen keineswegs, wie man annehmen könnte, vorrangig inhaltlicher Natur. Andere Faktoren wie das flankierende Marketing, werbliche Maßnahmen oder die Inszenierung in den Medien spielen vor allem dann eine weitaus größere Rolle, wenn es darum geht, das defensive Einkaufsverhalten des Sortimenters zu überwinden und eine hohe Stückzahl eines Titels zu plazieren. Wenn man aber weiß, dass die weit überwiegende Zahl aller Kaufentscheidungen erst nach dem Betreten einer Buchhandlung im Laden selbst getroffen werden, dann liegt auch auf der Hand, wie entscheidend wichtig Präsenz und Präsentation eines Titels (von nicht vorhanden bis zum Stapeltitel im Eingangsbereich) sowie gegebenenfalls die Beratung durch den Verkäufer in der Buchhandlung sind.

Diese hier nur skizzierten Entwicklungen begünstigen leider ausnahmslos eine Fokussierung auf »Bestseller« oder »Spitzentitel«, also solche Bücher, die möglichst pflegeleicht sind und denen der Verlag in seinem Programm besonderes Gewicht zuweist. Wo er das nicht tut oder nicht tun kann, da wächst die Gefahr, dass eine Novität schon im Vorfeld des eigentlichen Verkaufs auf der Strecke bleibt und den Weg zu einem interessierten Publikum gar nicht mehr findet. Viele kleine Verlage beispielsweise sind gar nicht dazu in der Lage, über ihr ideelles Engagement hinaus den »Auftritt« eines Buches kostenintensiv zu begleiten. Sie sind also ganz besonders darauf angewiesen, dass ihre Bücher nicht nur als »Ware« verstanden werden, sondern als ein kulturelles Gut, das der gleichsam arterhaltenden Förderung durch andere Marktinstanzen bedarf.

II.

Es ist an der Zeit, nun eine zumindest grobe Unterscheidung zwischen bestimmten Typen von historischen Büchern vorzunehmen. Auch das historische Buch ist wie jedes andere Buch stets beides, nämlich – mit Pierre Bourdieu zu sprechen - ein Träger sowohl von ökonomischem wie von kulturellem Kapital. Das Verhältnis beider Faktoren zueinander ist außerordentlich komplex, aber man kann nach meiner Auffassung zwei Pole bestimmen, zwischen denen sich das historische Buch bewegt.

Der eine Pol wird gebildet durch das wissenschaftliche Fachbuch im engeren Sinne, zu dem neben den akademischen Qualifikationsarbeiten (Dissertationen, Habilitationsschriften) eine Fülle von Spezialstudien und Editionen sowie die Lehrbücher für die historische Ausbildung gehören. Da sie ohnehin – wenn überhaupt – meistens nur in Universitätsbuchhandlungen vorrätig gehalten werden, sind sie von den beschriebenen Entwicklungen nur am Rande betroffen. Ihr Geschäft wird meist von den Fachverlagen besorgt und in der Regel durch die Bereitstellung von Drittmitteln vorfinanziert. Die strategischen Probleme dieser Bücher und der sie produzierenden Verlage entstehen weniger durch den Selektionsdruck im Buchhandel als durch die sinkenden Etats der öffentlichen Bibliotheken und die (teilweise) Umstellung auf elektronische Datenträger.

Für die Wissenschaft ist diese Fachliteratur ungeachtet der niedrigen Auflagen von oft nur einigen hundert Exemplaren von grundlegender Bedeutung. Die Ergebnisse der historischen Forschung finden hier – sowie in den Aufsätzen der Fachzeitschriften – zuerst ihren Niederschlag, hier werden neue Quellenfunde vorgestellt und ausgewertet, und hier vollzieht sich im wesentlichen auch der Binnendiskurs der »scientific community«. Nicht wenige Fächer kennen im übrigen so gut wie gar keinen anderen Buchtyp als diesen, etwa die entlegeneren Philologien oder auch manche historischen Spezialdisziplinen, weil es an einem über sie hinausweisenden öffentlichen Interesse für ihren Gegenstand fehlt. Es lässt sich also durchaus sagen, dass diese Form der Literatur, mit deren Hilfe sich eine Wissenschaft intern über ihren Gegenstand verständigt, die publizistische Normalität eines Faches ist.

Man hat denn auch nicht den Eindruck, dass etwa die Zahl der Spezialstudien in Deutschland rückläufig ist. Im Gegenteil: der Zwang zur Veröffentlichung nach dem Prinzip »publish or perish« hat sich angesichts der schwierigen Lage des akademischen Nachwuchses eher noch verschärft. Es ist nicht auszuschließen, dass ein Teil der akademischen Qualifikationsschriften in Zukunft nur noch elektronisch oder per »printing on demand« publiziert wird, weil dies sehr viel billiger ist und für die Bedürfnisse der fachinternen Kommunikation im Grunde auch ausreicht (solange es zwischengeschaltete Instanzen wie Herausgeber und Verlage gibt, die in der elektronischen Flut Spreu und Weizen voneinander trennen). Dem steht allerdings vorerst noch das fehlende Prestige von elektronischen Publikationen entgegen, die nicht nur in dieser Hinsicht mit dem gedruckten Buch nicht konkurrieren können.

Zwar haben sich auch die wirtschaftlichen Rahmenbedingungen des Fachbuches durch die schrumpfenden Etats der Bibliotheken nachteilig verändert, was zu sinkenden Auflagen und steigenden Preisen führt, aber dennoch wird man sich insgesamt um seinen Fortbestand keine allzu großen Sorgen machen müssen. Da die historische Fachliteratur nicht nur über den historischen Gegenstand spricht, sondern ihn auch buchstäblich verkörpert bzw. aufbewahrt, ist eine Geschichtswissenschaft ohne Fachbücher schlechterdings nicht vorstellbar.

Am anderen Ende des Spektrums befinden sich die historischen Bestseller, also jene Bücher, die in sehr hohen Auflagen verkauft werden und bis weit in die nichtwissenschaftliche Öffentlichkeit hinein starke Beachtung finden. Sie sind oft das, was das breite Publikum von der Geschichte in Buchform überhaupt wahrnimmt und deshalb unter ihr versteht. Diese teilweise spektakulären Erfolge dürfen aber nicht darüber hinwegtäuschen, dass die Zahl der historischen Bestseller kein zuverlässiger Gradmesser für die Situation des historischen Buches oder gar für die Geschichtskultur in Deutschland ist.
Denn seien wir realistisch: Nur wenige historische Bücher haben dieses Bestsellerpotential. Einige Autoren haben sich in Deutschland erfolgreich als »Markenartikel« etabliert, Sebastian Haffner oder Joachim Fest etwa, aber solche John Le Carrés der Geschichtsschreibung sind in Deutschland eher die Ausnahme. Auch eine gar nicht so geringe Zahl von Geschichtsprofessoren erreicht regelmäßig ein größeres Publikum und beachtliche Auflagen, wenn auch nicht unbedingt die vorderen Plätze der Bestsellerlisten. Insgesamt aber wird man bei einer genaueren Analyse feststellen müssen, dass es trotz der genannten Ausnahmen leider vorwiegend die schillernden, um nicht zu sagen: fragwürdigen Geschichtswerke mit ihren aufreizenden Thesen und »Tabubrüchen« sind, die den Weg auf die Spitzenplätze der Bestsellerlisten finden. Daniel Jonah Goldhagens Hitlers willige Vollstrecker ist dafür das perfekte Beispiel. Das sind indessen oft genug gerade die Bücher, die von der seriösen, »zünftigen« Wissenschaft kritisch beäugt oder unverhohlen abgelehnt werden, womit dann auch Raum für eine medienwirksame (und verkaufsfördernde) »Kontroverse« entsteht.

Zwischen diesen beiden Typen historischer Werke – dem Fachbuch auf der einen und dem Bestseller auf der anderen Seite – liegt das weite Feld der Werke, die ich als »mittleres Buch« bezeichnen möchte. Damit sind jene Bücher gemeint, die durch die Breite ihres Themas oder ihre Fragestellung deutlich über den Charakter einer Spezialstudie hinausgehen, andererseits aber auch keine Kandidaten für die Bestsellerliste sind. Eine Untersuchung beispielsweise über die Sakralarchitektur im oströmischen Reich ist unschwer als Spezialstudie einzustufen, eine »Kulturgeschichte von Byzanz« hingegen, die von der Religion über die Kunst und Architektur bis hin zu den literarischen Hervorbringungen die Geschichte der byzantinischen Kultur umfassend darstellt, ist zwar durchaus nicht bestsellerverdächtig, aber gleichwohl mehr als eine Monographie, die sich nur an Spezialisten wendet. Eine Pionierstudie über den Widerstand in Sachsen kann unser Bild vom Widerstand in der Region maßgeblich prägen, aber ihr Leserkreis wird dennoch begrenzt bleiben. Eine Geschichte des Widerstandes im »Dritten Reich« hingegen bewegt sich thematisch – und damit auch in den Auflagenzahlen – in einer anderen Größenordnung.

Es sind gerade diese Werke, in denen die Wissenschaft ihren vornehmsten Auftrag erfüllt, nämlich die Geschichtskultur lebendig zu erhalten, indem sie das Wissen über unsere Vergangenheit aufarbeitet, befragt und weitergibt. Dieser Prozess ist bekanntlich nie einmal für immer erledigt, sondern muss in jeder Generation neu geleistet werden. Anders als die meisten Fernsehproduktionen und Buchbestseller verzichten diese Werke in der Regel auf sensationelle Thesen oder konsumentenfreundliche Trivialisierungen. Sie nehmen ihren Leser statt dessen ernst, indem sie ihm einen dem Gegenstand angemessenen Grad von Komplexität zumuten, ohne ihn andererseits mit dem Kleinkram der Spezialforschung zu überfordern. Sie stellen ein differenziertes Wissen bereit, das nur hier und nirgends sonst zu bekommen ist, und leisten damit einen grundlegenden Beitrag zur Aufklärung, auf die jede demokratische Gesellschaft angewiesen ist. Natürlich sollten diese Bücher gut lesbar geschrieben sein und sind es nicht immer, aber ihre Autoren (und Lektoren) sind sich durchaus im klaren darüber, dass sie sich damit nicht nur an Fachkollegen wenden, sondern – potentiell zumindest – an die gesamte historisch interessierte Öffentlichkeit.

Diese Werke bilden nach meiner festen Überzeugung das Rückgrat der Geschichtskultur eines Landes. Sie konstituieren das historische Gedächtnis der Gesellschaft und machen Geschichte als kulturelle Ressource überhaupt erst in ihrer ganzen Vielfalt verfügbar. Zugleich wirken sie einer Sedimentierung von Geschichte entgegen, indem sie diese immer wieder neu in den gedanklichen Kreislauf der Gesellschaft einspeisen. Eine »Kulturgeschichte von Byzanz« mag sich in Deutschland in »nur« 4000 Exemplaren verkaufen, was im Vergleich zu den Zahlen eines Bestsellers wenig, im Vergleich zu einem Fachbuch aber sehr viel ist, das sich oft mit einem Zehntel der Auflage begnügen muss. 4000 Exemplare bedeuten (hoffentlich) 4000 Leser, die sich durch die Lektüre die Grundzüge des Themas aneignen und damit aktiv dazu beitragen, dass die Gesellschaft, in der sie leben, den Gegenstand – das kulturelle Kapital – nicht verliert. 4000 Leser sind im Verhältnis zu einer Bevölkerung von 80 Millionen eine geradezu verschwindend geringe Zahl, aber andere Leser interessieren sich für andere Themen, und in ihrer Summe geben gerade diese »mittleren« Bücher den Reichtum unseres historischen Wissens von der Wissenschaft an die Öffentlichkeit weiter. Sie sind – viel mehr als Fachbücher oder Bestseller – das eigentliche Scharnier zwischen Geschichtswissenschaft und Gesellschaft, wenn es um die Vermittlung von Inhalten geht. Wie präsent sie in einer Gesellschaft sind, gibt deshalb auch besser Auskunft über den Pegelstand der historischen Kultur eines Landes als der punktuelle Erfolg von Bestsellern, Fernsehsendungen, Ausstellungen oder die Geschichtsdebatten in den Feuilletons.

III.

Die von mir skizzierte Entwicklung im Verlagswesen und im Buchhandel benachteiligt indessen gerade diese Werke. Der Erstverkauf der »mittleren« Bücher durch die Verlagsvertreter wird zunehmend schwieriger, wenn nicht begleitende Jubiläen, Ausstellungen oder sonstige Events mediale Aufmerksamkeit versprechen. Anders gesagt: Der Inhalt allein reicht nicht. Auch ist die Vermittlung der historischen Inhalte auf einen dafür qualifizierten Buchhandel angewiesen. Es kommt hinzu, dass die ständig ansteigende Titelflut, also die Überproduktion der Verlage, zu einer Auswahl zwingt, bei der die »mittleren« Bücher rasch das Nachsehen haben.

Mit der Konzentration auf »Spitzentitel« steht auch das historische Buch verstärkt unter einem besonderen, seinem Inhalt zunächst ganz äußerlichen Erwartungsdruck. Es muss genügend Potential haben, um sich als Goodseller oder sogar als Bestseller durchzusetzen – erst dann erfährt es die gesteigerte Zuwendung von Marketing, Vertrieb und Werbung. Erst dann weckt es die Aufmerksamkeit der großen Buchhandelsketten, die einen Umsatzbringer wittern. Oder es hat dieses Verkaufspotential nicht – dann kommt es entweder gar nicht erst ins Programm der großen Verlage, oder es muss mehr oder weniger »allein« zusehen, wie es seinen Weg zum Käufer findet.

All das hat zum Resultat, dass die durchschnittlichen Auflagen der »mittleren« Bücher in den vergangenen Jahren kontinuierlich gesunken sind. Da sich diese Bücher für die Publikumsverlage ohnehin nicht leicht kalkulieren lassen, weil Auflagen von 3000, 4000 oder 5000 Exemplaren angesichts der allgemeinen Kostenstruktur im Grunde bereits zu niedrig sind, stellt sich auch für die Handvoll Verlage in Deutschland, die sich solchen Büchern noch mit Engagement und Leidenschaft widmen, immer häufiger die Frage, ob sie die ökonomischen Risiken, die mit ihrer Produktion verbunden sind, überhaupt noch eingehen wollen – zumal diese Werke aufgrund ihres anspruchsvollen Inhalts meist aufwendiger für Verlage zu produzieren sind als die Massenware. Es fällt denn auch auf, dass der relative Anteil des »mittleren« Buches in vielen großen Publikumsverlagen abgenommen hat und manche Häuser mit traditionell hochwertigen Programmen sich aus diesem Bereich sogar ganz verabschiedet haben. Das hat zur Folge, dass immer mehr Werke dieser Art zu kleinen Verlagen oder Fachverlagen abwandern, wo sie von vornherein mit niedrigeren Auflagen rechnen müssen.

Neuerdings versuchen sich auch die Grossisten durch selbst geschnürte Themenpakete mit besonders attraktiven Konditionen zwischen die Verlage und die Buchhandlungen zu schieben. Ein Großbuchhändler stellt dann etwa ein Titelpaket zum Thema Geschichte zusammen, das er besonders verkäuflich findet, und mit diesem Paket wird das Geschichtsregal der Buchhandlung bestückt. Alles andere kommt gar nicht mehr zum Zuge. Diese semi-verlegerische Strategie der Grossisten, die ihre Kunden möglichst umfassend an sich binden wollen, entlastet den Buchhändler, der nicht mehr selbst aus den vielen Verlagsprogrammen auswählen muss und eine Menge Zeit spart. Aber der Preis dafür ist, dass eine Instanz von fragwürdiger Kompetenz darüber befindet, welche historischen Bücher im Rahmen der Paketlösung Aufnahme verdienen und welche nicht. Es liegt auf der Hand, dass diese besondere Form von »Geschichtspolitik« für das »mittlere Buch« ebenfalls nachteilige Auswirkungen hat, weil nun nicht mehr die vielen einzelnen Buchhändler mit ihren individuellen Neigungen und Interessen darüber entscheiden, was in ihren Buchhandlungen ausliegt, sondern einige wenige Großeinkäufer, deren Perspektive zudem so gut wie gar nicht kulturell, sondern nahezu ausschließlich ökonomisch bestimmt ist.

Natürlich hat das »mittlere« historische Buch im Wettbewerb mit den Schwergewichten immer schon eine Art Nischenexistenz geführt, aber die Nischen, in denen es auf »Erlösung« durch einen interessierten Leser überhaupt noch warten darf, werden immer rarer und immer kleiner. Gegen diese Entwicklung lässt sich schon deshalb nur begrenzt etwas ausrichten, weil sie eine allgemeine gesellschaftliche Tendenz widerspiegelt: den sinkenden Stellenwert einer Bildung, die weder konsumiert noch praktisch nutzbar gemacht werden kann, sondern »nur« bildet, wie auch die beunruhigend nachlassende Lesefähigkeit und -bereitschaft jener Generationen, deren Wissensaneignung bereits durch alternative Medienangebote – wie das Fernsehen oder das Internet – vorgeformt worden ist.

Es kommt sicher hinzu, dass in einer Zeit, in der »vorn« soviel geschieht, weniger Neugierde oder Muße für den Blick nach »hinten« vorhanden ist. Die Welt ist seit 1989/1991 und 9/11, seit Globalisierung und der Krise des Sozialstaats in Deutschland – um nur einige Stichworte zu nennen – so rapide so unübersichtlich geworden, dass viele Menschen sich begreiflicherweise weniger für das Erbe der Vergangenheit interessieren als für das, was aktuell geschieht und noch geschehen wird. Dieses Phänomen ist aber eher konjunktureller Natur, während der Bedeutungsverlust der klassischen Bildungsidee und die neuen Techniken der Wissensaneignung Verschiebungen in unserem kulturellen Selbstverständnis bewirken, deren Erörterung weit über das hier gestellte Thema hinausgeht.