Deutsche Sprachspuren im östlichen Europa
Wolf Oschlies
1

 

Die touristische Saison ist in Osteuropa fast vorbei, aber die Nachsaison verspricht noch manches – erkennbar daran, dass allenthalben wie eine Regimentsfahne das Schild »Zimmer frei« gehisst ist. In Ungarn (www.zimmerfrei.co.hu), der Slowakei (www.zimmerfrei.sk) und anderswo folgen Vermieter dieser Flagge, in Kroatien sogar mit so aggressiver Straßenwerbung, dass die Zeitung Vjesnik unlängst grollte, das sei eine »Schande für den kroatischen Tourismus«. Aber bald werden die Schilder eingepackt, und auf zahllosen Websites locken Angebote für die nächste Saison. Mal sehen, wer dann noch im Rennen ist – nachdem vor Jahren in Kroatien ein ganzes Touristikunternehmen namens Zimmer frei bankrott ging, da es nicht einmal seine Stromrechnungen noch zahlen konnte.

Vor knapp 20 Jahren waren die Deutschen das reiselustigste Volk der Welt, und allein an die jugoslawische Adriaküste strömten alljährlich 3,5 Millionen sonnenhungrige Germanen, was vor allem Kroatien, dem Hauptanrainer der Küste, eine wahre Goldgrube verschaffte. Diese Idylle ist unwiederbringliche vorbei, aber »Zimmer frei« ist nach wie vor ein Synonym für Tourismus schlechthin.

So macht eine sehr altes deutsches Wort »Karriere«. Im Mittelhochdeutschen war es noch das zimber, und aus dem Rolandslied des späten 11. Jahrhunderts ist die aufmunternde Rede des Erzbischofs Turpin bekannt, der die hoffnungslos umzingelten Helden Rolands darauf verweist, dass »uober zimber« eine weit bessere Unterkunft zu erwarten sei, denn »uns nahet das gotes riche«.

Nicht nur in Gottes Reich, auch »im Kittchen sind noch Zimmer frei« (wie vor Jahrzehnten mal ein wunderbarer französischer Film betitelt war). In letzterer Bedeutung, Zimmer als Zelle im Knast, findet sich das Wort auch im Tschechischen. Eigentlich ist ein tschechisches Zimmer ein pokoj, aber wer als Rechtsbrecher für zwölf Jahre eine cimra beziehen muß, der weiß, dass diese kein pokoj ist.

Daneben gibt es auch bei Tschechen manches »Zimmer frei«. Eingangs der 1990-er Jahre hatte Jiøí Suchý, Nestor des witzig-ohrwurmigen Prager Chansons, einen Riesenerfolg mit seinem Musical Mé srdce je Zimmer frei (In meinem Herzen ist ein Zimmer frei), und als 1996 der deutsche Dirigent Gert Albrecht, von den Musikern der Tschechischen Philharmonie frei gewählter Chefdirigent, von Neidern aus der Goldenen Stadt hinausgeekelt worden war, da behauptete manche Karikatur, in der Philharmonie sei „Zimmer frei“. Bei Südslaven kommt noch eine sprachliche Finesse hinzu: Ein cimer (oder weiblich cimerka) ist jemand, der mit mir das Zimmer teilt – etwa bei den unvergesslichen Sommerschulen für Sprache und Literatur, die im alten Jugoslawien jede Teilrepublik für ausländische Gäste ausrichtete. So begehrt waren diese, dass nur bei ihnen niemals ein »Zimmer frei« blieb.