Rechteangabe für alle Fotos, sofern nicht anders angegeben: © Deutsches Kulturforum östliches Europa, Mathias Marx
Gehalten am 22. September 2011 in der Deutschen Bank, Unter den Linden, Berlin, anlässlich der feierlichen Verleihung des Georg Dehio-Kulturpreises 2011 – Ehrenpreis an Jan Janca
Jan Janca ist ein ausgewiesener Organologe, das heißt in seinem Falle Wissenschaftler und Forscher in dem Bereich des Orgelbaus, und als solcher mit dem Ehrenpreis des Georg Dehio-Kulturpreises ausgezeichnet worden. Er ist als Spezialforscher und Experte für die Orgelbaugeschichte Ost- und Westpreußens einschließlich Danzigs mit seinem Standardwerk hervorgetreten. Seine organologischen und damit musikwissenschaftlichen Veröffentlichungen sind die Frucht seiner dreifachen Begabung und seines positiv gestalteten Lebensweges: Er ist Wissenschaftler, und außerdem ein angesehener Orgelvirtuose und Komponist von Kirchenmusikwerken. Janca wurde als 1933 in Danzig geborener Sohn einer deutschen Kantorenfamilie kaschubischer und masurischer Vorfahren von den Ereignissen beziehungsweise Entscheidungen nach dem Zweiten Weltkrieg geprägt, die seinen weiteren Lebensweg beeinflussten.
Zunächst sind die mit dem Ehrenpreis ausgezeichneten Leistungen Jan Jancas als Organologe zu würdigen. Bei der Vorbereitung des wissenschaftlichen Symposiums Fragen des Orgelbaus im östlichen Mitteleuropa im September 1979 im Marburger Herder-Institut wurde Jan Janca als Fachmann der Orgelbaugeschichte Danzigs und Westpreußens zur Teilnahme vorgeschlagen. Janca referierte damals über Andreas Hildebrandt, ein Danziger Orgelbauer des 18. Jahrhunderts. Nach Nachrufen auf den Orgelbauer Werner Renkewitz war dies sein erster publizierter wissenschaftlicher organologischer Beitrag, dem Archivstudien vor allem in Göttingen an Königsberger Akten vorangegangen waren. In der Fachzeitschrift Die Musikforschung (38, 1985) wurde sein Aufsatz vom Rezensenten umfassend herausgehoben, und der Innsbrucker Universitätsprofessor Dr. Walter Salmen schrieb dazu: »Viel neues Material – etwa zur Geschichte der Orgelbauer Casparini in Schlesien und Andreas Hildebrandt in Danzig – wird in einigen Referaten vorgelegt« (Zeitschrift für Ostforschung 34, 1985). Jancas Zuverlässigkeit, anhand durchgearbeiteter Quellen und lokaler Literatur bisher Unbekanntes zu erforschen, wurde stets in Besprechungen bestätigt. Auf Grund seiner polnischen Sprachkenntnisse, die er nach 1945 erwarb, ließ er seinen Aufsatz über den Danziger Orgelbauer Andreas Hildebrandt von der polnischen Musikakademie Danzig, die ihn wiederholt eingeladen hatte, 1988 in erweiterter Form veröffentlichen.
1984 erschien in der Reihe Bau- und Kunstdenkmäler im östlichen Mitteleuropa des Marburger Johann-Gottfried-Herder-Forschungsrats der erste Band seines Standardwerks Geschichte der Orgelbaukunst in Ost- und Westpreußen von 1333 bis 1944. Der erste Teil des zweiten Bandes kam 2008 heraus (238. Veröffentlichung der Gesellschaft der Orgelfreunde, Berlin). Ist der erste Band noch mit »Werner Renkewitz (†) und Jan Janca« gezeichnet, so sind im ersten Teil des zweiten Bandes von 2008 als Autoren genannt: »Werner Renkewitz (†), Jan Janca und Hermann Fischer (in Zusammenarbeit mit Viktor Z. Łyjak)«. Der dritte Band (= zweiter Teil des zweiten Bandes) ist in Arbeit und dürfte in nicht allzu langer Zeit im Druck herauskommen. Jancas Fähigkeit zur Teamarbeit zusätzlich zur eigenen intensiven archivalischen Forschungstätigkeit machen dies möglich.
In weiteren Aufsätzen hat Jan Janca im Rahmen des Marburger Johann- Gottfried-Herder-Forschungsrates als Alleinautor in Musik des Ostens (Bd. 11 und 12) die Orgellandschaft Danzigs und Westpreußens sowie die Geschichte der Kirchenmusik im Kloster Oliva wissenschaftlich dargestellt; davon waren auch einige Beiträge zuerst in polnischer Sprache in entsprechenden Fachorganen erschienen. Da die Reihe Musik des Ostens nicht mehr weitergeführt wurde, konnte sein Referat Die ost-westpreußische Orgelbauerfamilie Goebel mit neuen Ergebnissen beim Marburger Symposium vom September 1994 im damals neu gegründeten Bonner Institut für deutsche Musikkultur im östlichen Europa e. V. (IME) veröffentlicht werden. Edition IME Reihe I: Schriften als Band I: Beiträge zur Musikgeschichte Ostmittel-, Ost- und Südosteuropas. Schon 1946/1947 befasste sich Jan Janca als Spieler der historischen Orgel in der Klosterkirche von Oliva mit der Vorgeschichte der Danziger Orgeln. Das waren die Anfänge, die er später akribisch immer weiter ausgebaut hat. In dem später namentlich noch leicht geänderten Bonner Institut ist von Janca auch seine Studie Der Danziger Bach-Schüler J. G. Goldberg. Zur polnischen Erstausgabe seiner 24 Polonaisen in allen Tonarten für Cembalo erschienen (in: Musica Baltica. Interregionale musikkulturelle Beziehungen im Ostseeraum. Konferenzbericht Greifswald/ Gdańsk, 28. November bis 3. Dezember 1993 (in: Deutsche Musik im Osten, Bd. 8, Sankt Augustin 1966). Auch der Aufsatz Die Olivaer Orgeltabulaturen (ca. 1619). Neue Quellen zur Musikgeschichte Königlich-Polnisch-Preußens ist in diesem Band herausgekommen.
Jan Janca (Mitte) im Publikum während der Laudatio von Prof. em. Dr. Hubert Unverricht | Foto © Deutsches Kulturforum östliches Europa, Mathias Marx
Aus Jancas zahlreichen organologischen und musikhistorischen Veröffentlichungen waren die bis jetzt genannten Aufsätze genauer anzuführen. In dem zur Verfügung gestellten Rahmen kann zusätzlich darauf hingewiesen werden, dass Janca im 21. Jahrhundert weitere organologische Beiträge in deutschen und polnischen Fachorganen verfasst hat.
Als Herausgeber der Reihe Musik des Ostens und des nachgereichten Bandes habe ich den gewissenhaften, zuverlässigen und akribisch arbeitenden Organologen und regionalen Musikhistoriker Jan Janca schätzen gelernt. Zurückhaltend in seiner menschlichen Art überzeugt er in seinen genauen und konzentrierten Forschungsarbeiten mit neuen Ergebnissen und in seiner wissenschaftlichen Darstellungsweise, die Faksimiles der Quellen, Übertragungen in die moderne Notenschrift und gediegenes Bildmaterial einschließt. Über den Organologen hinaus, angeregt durch seine künstlerischen und kompositorischen Tätigkeiten, wurde er auch zum regionalen Musikhistoriker. Den ersten Band seiner umfassenden Geschichte der Orgelbaukunst in Ost- und Westpreußen von 1333 bis 1944 aus dem Jahre 1984 hat er »Professor Dr. Rudolf Reuter«, einem damals führenden Münsteraner Organologen, gewidmet; inzwischen ist Janca als Nachfolger zu einem führenden, in Europa und den USA bekannten Organologen geworden, dessen Kenntnisse als Autor von Artikeln über Orgelbauer und Orgeln in drei großen Nachschlagewerken und in einer Aufsatzsammlung (Neue Deutsche Biographie, Die Musik in Geschichte und Gegenwart, Encyclopedia of Keyboard Instruments und Organy i muzyka organowa) eingeholt wurden.
Es wäre aber einseitig, Jan Janca nur als führenden internationalen Organologen und regionalen Musikhistoriker herauszustellen. Er hat sich auch als Herausgeber und Bearbeiter der von ihm entdeckten Olivaer Orgeltabulatur von 1619 und von Werken Johann Sebastian Bachs, Friedrich Silchers und – wie bereits erwähnt – Johann Gottlieb Goldbergs bewährt.
Von mehreren Organisten wurde Janca unterwiesen (u. a. von seinem Vater und an der Krakauer Musikhochschule , zuletzt in Paris bei Marcel Dupré, dem Janca einen Nachruf widmete). Schon ab Ende 1954 wurden mit Jan Janca an der Olivaer Orgel Musikaufnahmen gemacht, die dann auch nach seiner Übersiedlung nach Westdeutschland beim Süddeutschen und Hessischen Rundfunk sowie beim Südwestfunk erfolgten. Die von ihm eingespielte zweiteilige Langspielplatte Orgellandschaft Danzig und Westpreußen, die 2008 auch als CD herauskam, erhielt 1988 den »Preis der deutschen Schallplattenkritik«: An verschiedenen Orgeln in Danzig und Westpreußen interpretierte Janca Orgelwerke von Komponisten dieser Region, auch sein eigenes Postludium (Choraltoccata) Wachet auf, ruft uns die Stimme. In spätromantischem Stil bearbeitete er fünf Kirchenlieder »nach dem Gesangbuch der Diözesen Kulm/1902 und Danzig/1938«. Der Musikwissenschaftler und ehemalige Leiter der katholischen Kirchenmusik an der Musikhochschule Stuttgart, Universitätsprofessor Dr. Rudolf Walter, hob in seiner Besprechung hervor: »Der geschichtliche Überblick für den Orgelbau dieses Raumes und die Beschreibung der ausgewählten Instrumente, die auf der Plattenhülle neben hochwertigen Fotos mitgeteilt sind, stammen von Jan Janca«. Und weiter führte Walter zum Schluss aus: »Als Danziger und ›geborener Organist‹ wurde Jan Janca für die Einspielung der Dokumentation gewählt. Durch Studien in Danzig, Krakau, Stuttgart und Paris und durch berufliches Wirken in Oliva, Stuttgart und Tübingen hat er sich künstlerisch vielfach ausgezeichnet. Bezüglich charakteristischer Vorstellung der Instrumente, farbenreicher Registrierungen und musika lisch exzellenter Interpretation verdient seine Leistung hohes Lob.« (Das Orchester 37, 1989).
Auch die vielbeachtete CD Die Olivaer Orgeltabulatur (1619). Ausgewählte Stücke hat Janca eingespielt. Insgesamt entstanden mehrere bedeutende Schallaufnahmen mit seinem Orgelspiel. Seine vielfältige erfolgreiche Konzerttätigkeit als Orgelvirtuose musste Janca schließlich aufgrund eines Tinnitus und einer »Hyperakusis« aufgeben.
Drei CDs mit Kirchenmusikwerken von Jan Janca sind herausgekommen: 1. Organ Works, interpretiert von Ludger Lohmann (MDG 606 1104- 2, 2002), 2. Works for Trombone and Organ, Organ Works, interpretiert von Mike Svoboda und Ludger Lohmann (MDG 606 1462-2, 2007) sowie Organ Music, Choir Music Vol. 3 (MDG 606 1572-2, 2009)). Seine zahlreichen kirchenmusikalischen Kompositionen für Orgel und einige Vokalwerke mit Begleitung der Orgel sowie mit Orgel und Bläsern sind überwiegend in den Verlagen Carus und Strube sowie in Sammelbänden bei Breitkopf & Härtel und Bärenreiter erschienen. Seine Orgelverse über Hilf, Herr meines Lebens und Gott liebt diese Welt werden hochgeschätzt (die letzteren wurden in Tübingen von Anthony Thurman aus New York uraufgeführt).
In einmaliger Weise verbindet Jan Janca in seinen Kompositionen tonales gregorianisches Melodiegut und deutsche, auch moderne Kirchenlieder als cantus firmus nach französischem Vorbild mit freitonaler Färbung im Orgelpart; den Schluss bevorzugt er mit einem Durakkord, gelegentlich mit einem Nachbarton (große Sekund oder Sept) ergänzt. Seine Werke sind gut gegliedert, auch die nicht durch eine vorgegebene Melodie geprägten freien Orgelwerke. Der ehemalige Marburger Universitätsprofessor Dr. Martin Weyer, selbst ein gediegener Konzertorganist, fasst als Resultat für Jancas Orgelwerke zusammen: Janca »hat seit einigen Jahrzehnten die deutsche Orgelliteratur kompositorisch bemerkenswert bereichert«. Er »schließt zugleich die immer wieder drohende Lücke zwischen Musik zum primär liturgischen Gebrauch und solcher mit dezidiert künstlerischem Anspruch.« (Ars Organi 48, 2000).
Aus zutreffendem Grund hat Jan Janca den Ehrenpreis als international bekannter Organologe und regionaler Musikhistoriker erhalten; er war jedoch auch ein anerkannter Organist und Orgelvirtuose und ist ein sehr bedeutender und geschätzter moderner Komponist von Kirchenmusikwerken, darunter auch von zwei Messen. Ein vollständiges Werkverzeichnis bis 2002 liegt in Gabriele Rothmund-Gauls Beitrag vor: Weshalb Jan Janca in Baden-Württemberg blieb – Ein Porträt zum 70. Geburtstag (in: Musik in Baden- Württemberg, Jahrbuch 2003). Die vollständige Ergänzung seines Werkverzeichnisses auf den neuesten Stand wäre nun zu veröffentlichen, möglichst in einem gängigen Fachorgan. Der umsichtige, fleißige und gründliche Jan Janca führt damit die Bemühungen weiter, der Organologie und der regionalen Musikgeschichtsforschung im Fach Musikwissenschaft ein größeres und anerkannteres Gewicht zu geben.