Ende des 19. Jahrhunderts gab es hier die drittgrößte deutsche Siedlungsgruppe im Russischen Reich
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Katholische Kirche in Schytomyr. Foto: commons.wikimedia.org | Ядвига Вереск

Zwischen der Ukraine, Polen und Weißrussland

Der Großteil der historischen Region liegt heute im Nordwesten der Ukraine, kleinere Teile in Polen und Weißrussland. Im Norden wird Wolhynien von dem Fluss Prypjat begrenzt, im Westen reicht es bis an den Westlichen Bug. Im Südosten erstreckt sich das Gebiet fast bis an den Teteriw. Während der Norden und Westen von Wäldern und Sümpfen bedeckt ist, liegen im Osten die hügeligen Ausläufer der Karpaten. Der Name Wolhyniens stammt von dem einstigen Zentrum der Wolhynier: die Burg Wolyn. Sie existiert jedoch nicht mehr.

Mehrere deutsche Siedlungswellen

Die ersten Städtegründungen in Wolhynien gehen auf das 7. Jahrhundert zurück. Eine der bekanntesten Städte, die aus der Zeit stammen, ist Schytomyr. Das Fürstentum Galizien-Wolhynien wurde im 12. Jahrhundert gegründet und geriet nur kurze Zeit später unter mongolische Herrschaft. An der Wiederbesiedlung der Region waren neben Juden, Polen und Russen auch deutsche Kolonisten beteiligt. Deutschsprachige Kaufleute und Handwerker hatten sich aber schon zuvor in den Städten niedergelassen. Eine größere deutsche Einwanderungswelle fand Ende des 18. Jahrhunderts statt, die Siedler verließen Wolhynien jedoch wenig später wieder. Anfang des 19. Jahrhunderts kamen deutschsprachige Siedler aus Schlesien und Pommern, die überwiegend von der Forst- und Landwirtschaft lebten. Deutsche aus Polen kamen nach dem polnischen Novemberaufstand 1830 in das russische Wolhynien. Aufgrund gesetzlicher Benachteiligungen wanderten etwa 30.000 Deutsche bis zum Ende des 19. Jahrhundert wieder aus, viele von ihnen nach Brasilien. Über 170.000 Deutsche blieben aber in Wolhynien und machten fast sechs Prozent der Bevölkerung aus. Während des Ersten Weltkriegs wurde die deutsche Bevölkerung zwangsausgesiedelt, sie durften 1918 aber wieder zurückkehren. Auch während des Zweiten Weltkriegs verließen viele Deutsche die Region. Allein im Osten Wolhyniens flohen bis zu 40.000 Bewohner aus dem Gebiet zunächst in das Wartheland und später weiter in den Westen. 

Forst- und Landwirtschaft

Wegen der großen Wälder und weitläufigen Ebenen war die Wirtschaft in Wolhynien von der Forst- und Landwirtschaft geprägt. Noch vor dem Ersten Weltkrieg wurden Genossenschaften gegründet. Die Industrie beschränkte sich meist auf die Verarbeitung von Holz und Metall sowie die Weberei und die Herstellung von Papier.

Kaum ausgeprägte Gruppenidentität

Die Wolhyniendeutschen waren oft in Vereinen und Genossenschaften sowie Chören im kirchlichen Bereich organisiert. Da unter ihnen aber keine ausgeprägte Gruppenidentität bestand, konnte sich beispielsweise keine literarische Tradition entfalten. Vielmehr teilten sich die Bewohner in Gruppen aus Ost- und Westwolhynien auf. Eine der bekanntesten Persönlichkeiten aus der Region ist der aus Schytomyr stammende Pianist Swjatoslaw Richter (1915–1997).

Organisation der Wolhyniendeutschen

Die Deutschen aus Wolhynien sind in verschiedenen Landsmannschaften organisiert, die meist entweder Ost- oder Westwolhynien vertreten. Mit der gemeinsamen Geschichte beschäftigt sich der »Historische Verein Wolhynien«.

Literatur

Cammann, Alfred: Heimat Wolhynien. Marburg 1985.

Links

www.historischerverein.wolhynien.de
Historischer Verein Wolhynien

Wolhynier Umsiedlermuseum
Heimatverein Linstow e.V.

www.ome-lexikon.de/wolhynien
OME-Lexikon

Die fast Vergessenen
Auf der Suche nach den Spuren einer verlorenen Heimat in Wolhynien
Januar 2020 – Kulturkorrespondenz östliches Europa № 1411 | von Jennifer Frank, Roman Boichuk und Alina Wagner