Jenseits der Oder
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Rathaus in Königsberg in der Neumark/Chojna

Terra transoderana oder terra incognita?

Die historische Landschaft der Neumark wurde im Mittelalter als »terra transoderana« bzw. als »marchia transoderana« bezeichnet, was so viel wie das Land jenseits der Oder bedeutet.

Geografische Lage und Landschaft der Neumark

Die ursprünglichen Grenzen der Region bildeten die Oder im Westen, im Süden die Warthe sowie die Drage im Osten. Im Norden begrenzten das Gebiet die Städte Schivelbein (poln. Świdwin) und Dramburg (Drawsko Pomorskie).

Diese Landschaft prägten die Flüsse Warthe und Netze mit ihren weiten Sumpfgebieten. Zwischen weitläufigen Waldgebieten, zahlreichen Seen und Feldern befinden sich kleine Ortschaften. Die im Mittelalter geformte Siedlungsstruktur prägt bis heute das Antlitz der Region. Das malerische, vielgestaltige Gebiet birgt reiche Spuren der älteren und der jüngsten Vergangenheit Deutschlands und Polens: Städte, Marktflecken und Dörfer, Paläste, Herrenhäuser und Parks, Kirchen und Klöster. Einige Objekte sind in ihrem ursprünglichen, häufig mittelalterlichen Erscheinungsbild erhalten, andere wiederum inzwischen nur noch als Ruine vorhanden.

Ritter, Bürger, Bauern werden sesshaft

Der Name Neumark erscheint urkundlich erst 1383. Der Besitz dieses dünn besiedelten slawischen Gebietes war zwischen den Nachbarn heftig umstritten. Bis Mitte des 13. Jahrhunderts gehörten die Gebiete den Herzögen von Pommern oder den piastischen Herzögen von Großpolen und Schlesien, die sich bemühten, diese Region in ihr jeweiliges Herrschaftsgebiet zu integrieren. Um das Land urbar zu machen, hatten sie deutsche Ritter, Bürger und Bauern als Siedler geholt. Später traten der Erzbischof von Magdeburg, die Markgrafen von Meißen, und die brandenburgischen Askanier auf den Plan.

Um 1240 legte der Pommernherzog die Stadt Königsberg in der Neumark (poln. Chojna) zum Schutz gegen die vordringenden Askanier an. Zum Machtzentrum der Neumark entwickelte sich die Stadt Soldin (Myślibórz), die 1261 in den Besitz der Askanier gekommen war. Die Ausdehnung der askanischen Landesherrschaft verlief vor allem in südlicher Richtung erfolgreich.

Die Neumark wird verkauft

1402 verkaufte der polnische König Sigmund die Neumark an den Deutschen Orden. 1535 übergab Kurfürst Joachim I. die Neumark testamentarisch an seinen jüngsten Sohn Johann, der sie bis zu seinem Tode 1571 als selbständiges Fürstentum mit Küstrin (Kostrzyn) als Residenz und Regierungssitz verwaltete. Dank der Fähigkeiten des als Hans von Küstrin in die Geschichte eingegangenen Fürsten erlebte die Neumark einen wirtschaftlichen Aufschwung, besonders durch die holländischen Siedler, die neue Dörfer gründeten. Die günstige Entwicklung setzte sich unter Friedrich dem Großen verstärkt fort.

Reformen gliedern die Region neu

In der Staatsreform Preußens von 1815 wurde Schwiebus (poln. Świebodzin) der Neumark hinzugefügt, die alten brandenburgischen Kreise Schivelbein und Dramburg dagegen abgetrennt; sie gehörten nun zu Pommern. 1938 wurden auch die Kreise Arnswalde (Choszczno) und Friedeberg (Strzelce Krajeńskie) Pommern zugeschlagen. Von der aufgelösten Grenzmark Posen-Westpreußen wurden die Kreise Meseritz (Międzyrzecz), Schwerin (Skwierzyna) und der Rest von Bomst (Babimost) Brandenburg angegliedert.

1945 wurden die Gebiete östlich der Oder Polen zugesprochen, die Deutschen wurden vertrieben und mussten sich in Deutschland westlich der Oder eine neue Heimat suchen. Das weitestgehend entvölkerte, ehemals deutsche Gebiet wurde den von den Sowjets aus dem Osten ihres Landes vertriebenen Polen zugewiesen.

Die Region liegt heute in den polnischen Woiwodschaften Lebus (województwo lubuskie) und Westpommern (województwo zachodniopomorskie). Ihre Geschichte und ihr reiches Kulturerbe wurden in Deutschland größtenteils vergessen; in Polen werden sie seit einigen Jahren neu entdeckt und als gemeinsames Kulturerbe betrachtet.

Wirtschaft

Die Neumark, genauso wie die angrenzenden Gebiete, war und ist bis heute von der Land- und Forstwirtschaft geprägt. Zur landwirtschaftlichen Entwicklung trugen im 16. und 17. Jahrhundert die holländischen Kolonisten bei. Unter Friedrich II. wurde 1747–53 das Oderbruch trockengelegt, ab 1763 das Warthe- und Netzebruch.

Vom 19. Jahrhundert an gewann das Tuchmachergewerbe in der Region an Bedeutung. Mit dem Bau moderner Verkehrswege wurde auch die Voraussetzung für industrielle Ansiedlungen geschaffen. Sie waren hauptsächlich auf die Bedürfnisse der Landwirtschaft ausgerichtet und konzentrierten sich auf die beiden großen Städte Landsberg an der Warthe (polnisch Gorzów Wielkopolski) und Küstrin (Kostrzyn). In der Zeit zwischen den Weltkriegen entwickelte sich in Landsberg die chemische Industrie.

Kultur

Architektonisch ist die Region von der mittelalterlichen Sakralarchitektur geprägt. Sie geht vor allem auf die Bautätigkeit in der zweiten Hälfte des 13. und zu Beginn des 14. Jahrhunderts zurück, die als sichtbare »Landnahme« Teil der politischen Strategie der Askanier war.Bis ins 19. Jahrhundert entwickelte sich die für die Adelssitze typische Hofkultur – mit der Entwicklung der Städte entstand die bürgerliche Kultur. 1873 wurde in Landsberg ein Theater gegründet. Aus dieser Stadt stammt die Schriftstellerin Christa Wolf, der Schriftsteller und Literaturwissenschaftler Victor Klemperer, der Filmregisseur und Drehbuchautor Klaus Lemke sowie der Denkmalpfleger Gottfried Kiesow, der 1985 die Deutsche Stiftung Denkmalschutz gründete.

Spuren der Ordensritter

Um ihre Besitzansprüche zu festigen, begannen die großpolnischen und schlesischen Piasten sowie die pommerschen Greifen damit, strittige Gebiete geistlichen Orden oder Klöstern zu übereignen.

Bis 1250 waren es Ordensritter und Zisterzienser, die sich in dieser Region niederließen. Der erste Orden, der sich in der späteren Neumark ansiedelte, waren die Templer. Schon bald gründeten die Templer die Kommende Quartschen (polnisch Chwarszczany), von der sich bis heute noch die Ordenskirche erhalten hat. Die Askanier standen dem Orden kritisch gegenüber. Die Templer wurden gezwungen, die Kommenden in Soldin und Zielenzig aufzugeben, und die Kommende Quartschen verlor alle ihre am nördlichen Wartheufer gelegenen Dörfer.

Nach der Auflösung des Ordens im Jahre 1311 gingen die immer noch umfangreichen Besitzungen auf den Johanniterorden über. Das Zentrum der 1350 gegründeten Kommende bildete ein neu erbautes Ordensschloss in Lagow (polnisch Łagów), das bis heute zu bewundern ist. 1460 wurde Sonnenburg (polnisch Słońsk) zum Sitz des Herrenmeisters erwählt. Heute erinnert nur die Schlossruine an eines der Schlüsselwerke der Architektur in der Geschichte Brandenburgs.

Schlösser und Herrenhäuser

Die Schlösser und Herrenhäuser in der ehemaligen Neumark haben bislang nur wenig Beachtung gefunden, obwohl einstmals in dem östlich der Oder gelegenen Teil Brandenburgs über 200 Schlösser, Herren- und Gutshäuser bestanden haben.

Davon ist mehr als ein Viertel zerstört. Von den erhaltenen Bauten befindet sich circa jedes fünfte in einem stark ruinösen Zustand. Viele weitere sind ungenutzt und durch Leerstand akut bedroht. Etwa ein Drittel aller erhaltenen Gebäude – oft in privater Hand – wird heute als Museen, Kultureinrichtungen und Hotels genutzt.

Tipps

  • Küstrin, eine verlassene Ruinenstadt am polnischen Ufer der Oder.
  • Der Park der Wegweiser und Meilensteine in Vietz (Witnica).
  • Kapelle der Templerritter in Quartschen (Chwarszczany).
  • Schloss- und Parkanlage in Mehrenthin (Mierzęcin).
  • Die Städte Friedberg (Strzelce Krajeńskie) und Drossen (Ośno Lubuskie).
  • Tamsel als Künstlerrefugium und Zuflucht für Kronprinz Friedrich nach seiner Haft in Küstrin.

Literatur

Bader, Karin: Ostbrandenburg Neumark und Niederlausitz in 144 Bildern. Leer 1984.

Lüderitz, Jörg: Die Neumark entdecken. Berlin 2003.

Lüderitz, Jörg (Herausgeber): Neumärkisches Lesebuch. Landschaften und Menschen im östlichen Brandenburg. Berlin 2004.

Rutkowski, Paweł: Wędrówki między Odrą a Drawą. Spotkania z Nową Marchią. Potsdam 2012.

Rutkowski, Paweł: Streifzüge zwischen Oder und Drage. Begegnungen mit der Neumark. Potsdam 2012.

Vogenbeck, Bernd, Tomann, Juliane: Almanach Terra Transoderana. Zwischen Neumark und Ziemia Lubuska. Berlin 2008.