Nachdem das Banat ab 1526 von den Truppen des Osmanischen Reichs heimgesucht und schließlich erobert wurde, diente die einstige Kapelle in Maria Radna den Gläubigen und wohl auch den Franziskanern als Zufluchtsort. Im Laufe der Geschichte entstand an dieser Stelle ein imposantes Barockensemble, das mit seinem Gnadenbild Banater Katholiken von weit und fern anzieht. Ein Wallfahrtsbericht. Von Raluca Nelepcu
September 2023 – Kulturkorrespondenz östliches Europa № 1437
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Hinter den Ministranten mit dem Prozessionskreuz gehen drei »Marienmädchen«. Es folgen zwei Fahnenträger aus dem Banater Bergland und zum Schluss mehrere Geistliche. Alle Blicke folgen der Prozession, einige Menschen fotografieren eifrig mit ihren Smartphones. Die Orgel ertönt, die Anwesenden singen laut und klar das Eingangslied »Glorwürd’ge Königin«, das Hochamt beginnt. Es ist ein sommerlicher Tag in Maria Radna, das während der Habsburgerzeit einer der wichtigsten Wallfahrtsorte im östlichen Teil der Donaumonarchie war.

In der barocken Basilika nördlich der Marosch (Mieresch/Mureș), der das Banat von Siebenbürgen und dem Kreischgebiet trennt, wird an diesem Mittwoch, dem 2. August 2023, nur Deutsch gesprochen: Es ist die deutsche Wallfahrt, zu der Banater Schwäbinnen und Schwaben aus Rumänien und Deutschland angereist sind. Und es ist das Fest von Portiuncula, wie der volkstümliche Name der Kapelle Santa Maria degli Angeli drei Kilometer von Assisi heißt. Hier hat der Franziskanerorden seinen Ursprung. Dort gewährte Papst Honorius III. auf Bitten des Heiligen Franziskus von Assisi einen Ablass, der feierlich in der Portiuncula angekündigt wurde. Dass das Portiuncula-Fest auch in Maria Radna so wichtig ist, kommt nicht von ungefähr, denn es waren die Franziskaner, die sich im 16. Jahrhundert hier niederließen – auf der Flucht vor den Osmanen.

2011 rief der damalige römisch-katholische Bischof von Temeswar/Timișoara, Martin Roos, die Deutsche Wallfahrt ins Leben. Er folgte damit dem Wunsch der Banater Schwäbinnen und Schwaben, ihren eigenen Wallfahrtstag zu haben, so wie einst, bevor die Mehrheit der Deutschen auswanderte. Zuvor hatten die Ausgewanderten verstärkt damit begonnen, in die »alte Heimat«, wie sie das Banat bezeichnen, zurückzukehren. Von Jahr zu Jahr wuchs die Zahl derjenigen, die sich an der deutschen Wallfahrt beteiligten.

Sie kommen, um zur Mutter Gottes in Maria Radna zu beten. Das Gnadenbild mit vergoldetem Strahlenrahmen, das über dem Altar hängt, zieht alle Blicke auf sich. Es ist ein von dem Greis Georg Vričonosa 1668 auf Papier gedrucktes Marienbild, das 1695, als die osmanischen Truppen die Kirche niederbrannten, unversehrt blieb. Seitdem werden dem Gnadenbild Wunderkräfte zugesprochen.

In der ersten Reihe sitzen, wie jedes Jahr, Peter-Dietmar und Hiltrud Leber, beide eigens aus Deutschland angereist. »Maria Radna ist für mich ein Ort der Spiritualität, aber auch ein Ort der Gemeinschaft«, sagt der Bundesvorsitzende der Landsmannschaft der Banater Schwaben in Deutschland, der aus Großsanktnikolaus/Sânnicolau Mare im Banat stammt und seit 1981 in Deutschland lebt. »Man braucht kein Amt, um nach Maria Radna zu kommen, man muss nur offenen Herzens dahin gehen«, fügt der 63-Jährige hinzu.

Und offenen Auges, denn dass die Basilika ein architektonisches Juwel ist, ist nicht zu übersehen. Der Bau der jetzigen barocken Kirche begann 1752 und wurde 1782 vollendet. 1992 verlieh Papst Johannes Paul II. der Kirche den Titel »Basilica minor«. Nach umfangreichen Sanierungsarbeiten erstrahlt die Wallfahrtskirche seit 2015 in neuem Glanz. Doch wieso ist Maria Radna, das jenseits der Marosch liegt, so wichtig für die Banater? »Man könnte fast behaupten, dass die Geschichte von Maria Radna zusammen mit der Geschichte der Banater Schwaben geschrieben wurde«, erklärt Claudiu Călin, Archivar des römisch-katholischen Bistums Temeswar. Maria Radna sei zwar älter, aber die offizielle Anerkennung als Wallfahrtsort geschah in der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts, als auch die ersten deutschen Siedlerinnen und Siedler ins Banat kamen. »Diese Siedler waren katholisch, tief gläubig und ihr Leben war oft von Sorgen und Krankheiten geprägt, sodass sich Maria Radna zu einem spirituellen Zufluchtsort der Banater Schwaben entwickelte«, führt der Historiker weiter aus. »Man sagt auch: Wenn die römisch-katholische Diözese ihren Kopf in Temeswar hat, so hat sie ihr Herz in Maria Radna.«

Drei »Marienmädchen« mit geflochtenen Zöpfen stehen bei dem Wallfahrtsgottesdienst links vor dem Altar. Sie tragen eine besondere Tracht: schwarze Schuhe, lange, weiße Strümpfe, weiße, plissierte Röcke, ein weißes Tuch mit blauem Rand um die Schultern und eine hellblaue Schleife unter dem Hals. Ihre Köpfe zieren drei weiße, glitzernde Kronen. Die Kinder kommen aus Sanktanna/Sântana, einer Kleinstadt in Westrumänien, die ebenfalls nördlich der Marosch liegt, jedoch mehrheitlich von Banater Schwaben besiedelt war. Sanktanna ist eine der wenigen Ortschaften, in denen sich der Brauch der Marienmädchen noch erhalten hat. Von dort stammt auch der Radnaer Ortspfarrer Andreas Reinholz. »Wenn die Sanktanner nach Radna pilgern – in diesem Jahr am 8. Oktober – kommen bis zu fünfzig Marienmädchen«, freut sich der 72-jährige Geistliche. »Sie sind bei allen katholischen Festen in der Kirche dabei und sie haben auch ihre speziellen Gebete.«

Kniend und im Gebet versunken sitzt hier auch Erwin Josef Țigla. Der 61-Jährige stammt aus Reschitza/Reșița und ist Vorsitzender des Demokratischen Forums der Banater Berglanddeutschen. Er ist jedes Jahr bei der Wallfahrt in Radna dabei. Țigla schließt beim Beten seine Augen, hält die beiden gefalteten Hände an die Stirn. Die Wandlung: Fast alle Wallfahrer knien nieder und beten ehrfurchtsvoll. Es duftet nach Weihrauch. Erwin Josef Țigla ist einer der über 80 000 römisch-katholischen Gläubigen – Ungarn, Deutsche, Kroaten und andere – aus dem Banat. Die Zahl der Katholikinnen und Katholiken ist zwar nach der Volkszählung von vor zehn Jahren etwas kleiner geworden, die verschiedenen ethnischen Gemeinschaf­ten scheinen jedoch weiterhin ihren Zusammenhalt öffentlich bekunden zu wollen.

»Ich komme seit meiner Kindheit zu den großen Marienfesten hierher«, sagt er hinterher. »Ich war bei allen deutschen Wallfahrten in Radna dabei, auch während der Pandemie. Ich freue mich umso mehr, dass die Leute nun zur Mutter Gottes zurückfinden.«

Während der Pandemie waren die Wallfahrten zwar nicht direkt untersagt, jedoch wegen der auferlegten Restriktionen nur in äußerst beschränktem Rahmen möglich gewesen. Seitdem die Regeln gelockert wurden, haben die Menschen wieder begonnen, nach Radna zu kommen, bestätigt auch Pfarrer Reinholz. In diesem Jahr seien es sogar noch mehr als im vergangenen Jahr gewesen, viele Reisende, die in die Europäische Kulturhauptstadt Temeswar kommen, machen einen Abstecher nach Maria Radna. Anfang August, am Tag der deutschen Wallfahrt, sind alle Sitzplätze in der Kirche besetzt: Rund 300 Menschen sind dabei. Am 15. August, an Mariä Himmelfahrt, pilgern bis zu 15 000 Gläubige nach Maria Radna.

Unter ihnen ist in diesem Jahr ein besonderer Gast und Jubilar zugleich: Pfarrer Robert Dürbach, der aus Hatzfeld/Jimbolia im Banat stammt und seit Jahren Pfarrer in Uhingen bei Stuttgart ist. Er sagt, er sei der letzte Banater Schwabe, der im Banat zum Priester geweiht wurde – das war 1998 im Hohen Dom zu Temeswar. Pfarrer Dürbach feiert während der Wallfahrt sein silbernes Priesterjubiläum und ist gerührt. »Hier war der Anfang meines geistlichen Lebens, hier hat es seinen Fortgang gefunden«, erinnert er sich an seine ersten Besuche als Kind. Eine besondere Geschichte dieser Zeit fügt er auch hinzu. So habe ihm Franziskanerpater Ernst Harnisch, der während des Kommunismus Rektor des Wallfahrtsortes war, gesagt, er solle mit anderen Kindern zu den großen Linden- und Eichenbäumen vor der Kirche gehen und die Eichhörnchen mit Eicheln anlocken. »Sie kommen und fressen euch aus der Hand«, soll der Ordensmann gesagt haben. Ein Bild, dass er bis heute im Kopf behalten hat, sagt Dürbach.

Anlocken braucht Pfarrer Reinholz die Pilger nicht, sie kommen von allein zu den Wallfahrten, schon wegen der Ikone der Gottesmutter. Die wirke auch heute noch Wunder, sagt der Geistliche. »Wie das geschieht, das weiß keiner, aber immer wieder kommen Menschen zu mir und erzählen mir, wie ihnen die Gottesmutter von Radna geholfen hat.«