Vorsitzender des Kulturausschusses der russischen Staatsduma Nikolaj Gubenko zur Rückgabe der Bremer Sammlung

Deutsche Welle – Monitor Ost- / Südosteuropa, 19.03.2003

Moskau, 19.03.2003, NESAWISSIMAJA GASETA, russ., Jekaterina Barabasch

Die Geschichte mit der Rückgabe der Sammlung der Bremer Kunsthalle, in Russland „Baldin-Sammlung“ genannt, an Deutschland bekommt eine immer unerwartetere Entwicklung.
Nach den gestrigen (18.03.) Erklärungen der wichtigsten Teilnehmer – des Kulturministers Russlands Michail Schwydkoj und des Vorsitzenden des Duma-Ausschusses für Kultur Nikolaj Gubenko – zu urteilen, muss die anfänglich für den 29. März vorgesehene Eröffnung der Ausstellung in Bremen verschoben werden. Auf eine unbestimmte Zeit. Die Grafiken und Gemälde befinden sich vorläufig in Moskau, im Lager der Vereinigung „ROSISO“ (die formal dem Kulturministerium untersteht). Auf Drängen von Michail Schwydkoj studiert die Generalstaatsanwaltschaft derzeit die ganze Arbeit des Ministeriums zur Vorbereitung und Rückgabe der Sammlung an die Bremer Kunsthalle.

Gestern entsandte der erste stellvertretende Generalstaatsanwalt der Russischen Föderation, Birjukow, ein Schreiben an Nikolaj Gubenko, in dem er mitteilte, dass das Eigentumsrecht Bremens auf die „Baldin-Sammlung“ nicht bestätigt wurde und dass „Maßnahmen ergriffen werden, um die festgestellten Gesetzesverletzungen mit dem Ziel zu beseitigen, nicht mit dem Eigentum der Russischen Föderation schalten und walten zu lassen“. Seinen Standpunkt legt Nikolaj Gubenko dar.

Frage: Nikolaj Nikolajewitsch, hat Ihr Treffen mit Kulturminister Michail Schwydkoj zu Ergebnissen geführt?

Antwort: Michail Jefimowitsch hat sich nicht kollegial, nicht freundschaftlich verhalten. Er führte mit mir ganz offizielle Verhandlungen. Anwesend waren Sekretäre und Stenographinnen. Das ist für unsere Beziehung untypisch. Er will versuchen, mit den Parlamentsfraktionen übereinzukommen, damit diese die Rückgabe durch ein Gesetz unterstützen. Ich bezeichne diesen Akt jedoch nicht als Rückgabe, sondern als Übergabe, als Geste des guten Willens, falls es doch dazu kommen sollte. Deutschland muss seinerseits eine Geste des guten Willens zeigen. Wenn Schwydkoj sagt, diese Geschichte erinnere ihn daran, wie wir unsere Hand in die Hosentasche Deutschlands steckten und später wie Taschendiebe etwas als Ersatz verlangen, so ist diese Position zumindest unverschämt schon aus dem Grund, dass die Deutschen im Juni 1941 nicht zu uns kamen, um Pilze zu sammeln.

Frage: Bekannt ist, dass die Staatsanwaltschaft derzeit überprüft, ob das Vorgehen des Kulturministeriums zur Rückgabe der Kunstschätze gesetzlich ist.

Antwort: Ja, Michail Jefimowitsch sagte, dass er sich ausschließlich am Beschluss der Staatsanwaltschaft orientieren wird. Er geht jedoch davon aus, dass die Absichtserklärung, auf die ich meine Hoffnung auf eine nicht entschädigungslose Übergabe der Sammlung stütze, nicht beachtenswert ist. Bei dieser Absichtserklärung handelt es sich um eine Erklärung, die im Jahr 1993 von Polenow, dem Vorsitzenden der Kulturkommission des Obersten Rates der Russischen Föderation, und der Kultursenatorin der Freien Hansestadt Bremen, Frau Helga Trüpel, unterzeichnet wurde. Darin heißt es, dass ein Teil der Sammlung entschädigungslos bei uns bleiben soll, dass die Deutschen sich verpflichten, eine Ausstellung zu organisieren, die Restaurierung der zerstörten Denkmäler in Nowgorod technisch und finanziell zu gewährleisten, die Sammlungen der Nowgoroder Museen aus eigenen Beständen aufzufüllen. Der Minister ist überzeugt, dass man sich nicht auf die Absichtserklärung stützen dürfe, da es bei den Verhandlungen um den ganzen Bestand der Bremer Kunsthalle ging.

Frage: Aber in diesem Fall kann die Absichtserklärung tatsächlich keine Grundlage für einen gleichwertigen oder irgend einen anderen Austausch mit Deutschland sein.

Antwort: Ich wiederhole: Schwydkoj sagte, dass er sich ausschließlich von den Schlussfolgerungen der Staatsanwaltschaft leiten lassen wird. Er deutete an, dass Verhandlungen über bestimmte Entschädigungen laufen, vorläufig gäbe es jedoch nichts schriftliches. Im Unterschied zu unserer Absichtserklärung, die mit allen Unterschriften versehen ist. Unser Gespräch verlief sehr offiziell. Verhandlungen kann er lediglich auf Anordnung des Präsidenten führen, der von mir erfahren hat, dass auf der deutschen Seite der Wunsch besteht, die Übergabe der Bremer Sammlung zu entschädigen. Gesetzlich gesehen ist diese Sammlung meiner Ansicht nach – und ich hoffe auch nach Ansicht der Staatsanwaltschaft – längst Eigentum der Russischen Föderation, da der Artikel 234 des Bürgerlichen Gesetzbuches es ermöglicht, einen Gegenstand als Eigentum zu übernehmen, der ununterbrochen mindestens fünf Jahre lang Eigentum eines Bürgers oder einer juristischen Person war. Ich sehe die Lösung dieses Problems in einem Gerichtsstreit, damit solcher Art Gesten des guten Willens ein für allemal unterbunden werden. Damit niemand auf den Gedanken kommt, willkürlich mit dem umzugehen, was Russland, dem ganzen Volk gehört.
Ich bin der Meinung, dass eine sachkundige Kommission gebildet werden muss. Michail Jefimowitsch behauptet, dass die Sammlung 35 Millionen Dollar wert ist. Ich sage, sie ist 1 Milliarde Dollar wert. Soll die Kommission den realen Wert bestimmen und dem Präsidenten vorlegen. Sollen die Experten alle Umstände, die gesetzlichen, die historischen, die moralischen präzisieren und dem Präsidenten Vorschläge unterbreiten. (…) Ich bin lediglich für einen gleichwertigen Umtausch. (…) (lr)