Eine Rezension von Markus Nowak
Kulturkorrespondenz östliches Europa, № 1447 | Drittes Quartal 2025
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Der Waggon dient als Eingang in die Damshausener Scheune. © Markus Nowak
»Als mein Opa etwa zehn Jahre alt war, wurde er aus seinem Heimatort im heutigen Tschechien vertrieben«, steht auf einem Papierstreifen. »Ich bin froh, dass ich nicht aus meiner Heimat flüchten muss«, auf einem anderen. Oder: »Meine Ur-Oma hat so etwas als Kind erlebt. Eine schlimme Sache.« Das Schriftbild lässt Kinder als Urheber der Zeilen vermuten. Die Papierstreifen hängen an einer Wand einer neuen Ausstellung über Flucht und Vertreibung an einem ungewöhnlichen Ort bildet: im Freilichtmuseum Hessenpark.
 

Dass diese Thematik ausgerechnet an einem Ort Platz gefunden hat, der bei Familien mit Kindern beliebt ist, ist ein starkes Zeichen. Wo Generationen gemeinsam durch rekonstruierte Dörfer spazieren, Fachwerkhäuser entdecken und Handwerkskunst bestaunen, soll die Lokalgeschichte Hessens spürbar werden. Die Ausstellung ist in den elf Räumlichkeiten eines Fachwerkhauses aus dem 18. Jahrhundert untergebracht. Es diente nach dem Zweiten Weltkrieg in Sterzhausen im Marburger Land als Unterkunft für Flüchtlinge und Vertriebene.

»Etwa ein Drittel der Menschen in Hessen hat persönliche Bezüge zur Vertreibung von Deutschen« aus dem östlichen Europa1945, ein großformatiger Schriftzug leitet die Themenräume ein. Es geht um beispielhafte Einzelschicksale, aber auch um die provisorische Wohnsituation in hessischen Stuben, die mit schlichten Möbeln nachempfunden wird. Weitere Räume behandeln die Ansiedlung des böhmischen Instrumentenbaus in Nauheim oder der böhmischen Glasindustrie im Taunus.

Auch Fragen wie »Stigmatisierung und Annäherung« und die Veränderungen in der religiösen Landkarte Hessens werden in der zweisprachigen Ausstellung aufgegriffen. Zu erfahren ist, dass über sechzig Prozent der 1,3 Millionen in Hessen angekommenen Flüchtlinge und Vertriebenen aus katholischen Gegenden, mehr als dreißig Prozent aus evangelischen kamen. Das ursprüngliche Verhältnis der Glaubenszugehörigkeit war in Hessen aber genau andersherum. So wurden bis 1975 rund 240 neue katholische Gotteshäuser gebaut – ein nachhaltiger Ausdruck der gesellschaftlichen Transformation nach dem Zweiten Weltkrieg.

Während die neue Dauerausstellung vor allem das Ankommen thematisiert, wird Flucht und Vertreibung in einem bereits länger bestehenden Teil der Schau »erfahrbar gemacht«. Um die Damshausener Scheune direkt neben dem Sterzhausener Fachwerkhaus zu betreten, geht man erst durch einen Güterwaggon. In solchen Wagen wurden die Menschen aus den Vertreibungsgebieten nach Hessen gebracht. Allein bis zum Jahr 1950 kamen mit etwa 400 Ausweistransporten rund 600 000 Vertriebene im damals neu gegründeten Bundesland an.

Großformatige Fotos der Vertreibungen und Transsporten sowie ein Handwagen veranschaulichen jene Zeit. Es fehlt aber auch nicht an Texttafeln, die Flucht und Vertreibung als Folge des Zweiten Weltkriegs kontextualisieren. Dass sich im 80. Jahr nach Kriegsende eine weitere Ausstellung mit Flucht und Vertreibung beschäftigt, zeigt: Diese Geschichten sind nicht vergangen und wirken bis heute nach. Bleibt zu hoffen, dass viele Besucher die Ausstellung entdecken. Die Chancen stehen gut –der Hessenpark zählt jährlich über 200 000 Gäste.


»Vertriebene in Hessen. Ankunft und Integration nach 1945«
Freilichtmuseum Hessenpark, Laubweg 5,
61267 Neu-Anspach/Taunus