Petr Koura. Foto: © Lukas Biba
Petr Koura ist in Tschechien bekannt als Mahner, der seine Zeitgenossen immer wieder auch an unliebsame Episoden aus ihrer Geschichte erinnert. Derzeit ist er als Kurator der geplanten Dauerausstellung über deutsche Geschichte in Böhmen Naši Němci – Unsere Deutschen in Aussig/Ústí nad Labem tätig. Im Frühjahr 2021 soll sie eröffnet werden. Koura, Jahrgang 1978, studierte Geschichte und Politikwissenschaft an der Karlsuniversität in Prag und schloss sein Aufbaustudium mit einer Dissertation zum Thema der deutschen Besatzung des Protektorats Böhmen und Mähren ab. Er war unter anderem für die tschechische Akademie der Wissenschaften tätig, und hatte mehrere Forschungsstipendien, darunter auch an der Forschungsstelle für die böhmischen Länder Collegium Carolinum und beim Collegium Bohemicum. Seit 2017 leitet Koura Letzteres und lehrt Geschichte an der Prager Karlsuniversität. Die Fragen stellte Markus Nowak.
Herr Koura, haben Sie Pfingsten schon Pläne? Am 21. Mai ist der Sudetendeutsche Tag …
Ich war schon mehrmals dabei und wurde auch diesmal vom Sudetendeutschen Verband eingeladen. Ich kann sagen, dass ich mich sehr auf den Sudetendeutschen Tag freue und immer gern hinfahre. Für unser Ausstellungsprojekt Naši Němci – Unsere Deutschen ist die Landsmannschaft ein wichtiger Ansprechpartner und Außenrepräsentant der deutschen Vertriebenen.
Was steckt hinter diesem Titel »Unsere Deutschen«?
Der Titel ist eigentlich ein Zitat, das von tschechoslowakischen Politikern genutzt wurde; allen voran Tomáš Garrigue Masaryk – dem ersten Präsidenten und Gründer der Tschechoslowakei. Wir sagen heute Sudetendeutsche, während er diese Volksgruppe als »unsere Deutschen« bezeichnete. Das symbolisiert und offenbart die Problematik der tschechischen Meinung über die damaligen deutschen Böhmen. Das Sudetendeutsche Museum in München beispielsweise präsentiert den Blick aus Sicht der Deutschen beziehungsweise Sudetendeutschen. Unsere Ausstellung dagegen widmet sich dem tschechischen Verständnis – deshalb auch diese Benennung.
Worin unterscheidet sich Ihre Sichtweise von der des Münchener Hauses?
Der Unterschied ist, dass das Museum in München den Fokus auf die Sudetendeutschen legt, während sich unsere Ausstellung mit der deutschsprachigen Bevölkerung in Böhmen beschäftigt. Für mich ist dieser Begriff breiter gefasst. Wir betrachten beispielsweise auch die deutschsprachigen Juden als Teil der deutschen Bevölkerung in Böhmen. Wir behandeln zum Beispiel die Juden-Pogrome im Mittelalter, die mit Karl IV. verbunden sind; und natürlich auch die jüdischen Schicksale während des Zweiten Weltkrieges. Wir möchten in unserer Ausstellung zeigen, dass es in Böhmen eine heterogene deutschsprachige Bevölkerung gab: die Reichsdeutschen, Sudetendeutsche und Juden.
Derzeit entsteht auch auf polnischer Seite, in Oppeln/Opole ein Museum. Und zwar der deutschen Minderheit …
… wir sehen unsere Ausstellung nicht als Minderheiten-Museum an. Die Deutschen haben hier seit dem Mittelalter gelebt. Wir beginnen also im Mittelalter, wobei das 20. Jahrhundert sozusagen als Gipfel unseres Interesses verstanden werden kann. Sie waren ein Bestandteil der Gesellschaft Böhmens. Auch in der Kirche spielten sie eine wichtige Rolle, beispielsweise kam der erste Bischof von Prag, Dietmar, ursprünglich aus Sachsen. Aus alten Chroniken wissen wir leider nicht viel über ihn, nur sein Name und seine Herkunft sind überliefert. Viele tschechische Könige und Fürsten hatten Ehefrauen aus Deutschland, wie zum Beispiel Karl IV. – ein besonderer Musterfall. Also: Die Deutschen waren hier keine Minderheit, sondern Akteure böhmischer Politik und Kultur.
»Unsere Deutschen« klingt aber auch euphemistisch …
Auf dem Sudetendeutschen Tag vor drei Jahren habe ich mit einem Mann gesprochen und den Titel »Unsere Deutschen« erwähnt. Daraufhin meinte er »Wir sind nicht Ihre Deutschen – wir sind die Sudetendeutschen.« Mir gefällt unser Titel aber. Man kann ihn als »die Deutschen aus unserem Land, also unsere Nachbarn« interpretieren. Wir haben beispielsweise einen Ausstellungsraum, der zeigt, wie sich der Begriff »Sudetendeutsche« entwickelt und verändert hat. Wir werden den Begriff »Unsere Deutschen« in unterschiedlichen Zeitperioden darstellen. Masaryk hat ihn schon im Jahr 1918 benutzt, als er von Amerika zurück in die Tschechoslowakei kam. Interessant ist zudem, dass diese Bezeichnung auch von kommunistischen Zeitungen aus dem Jahr 1945 benutzt wurde – in diesem Fall aber ironisch und negativ, ganz nach dem Motto »Wir verabschieden uns von ›unseren Deutschen‹«.
Wie schaut man heutzutage in Tschechien auf die Thematik »Unsere Deutschen«?
Bei uns gibt es nicht mehr viele Deutsche und die, die heute noch in Tschechien leben, würden wir in der Regel nicht als »unsere Deutsche« bezeichnen können. Die heutigen Deutschen kamen etwa zum Arbeiten hierher. Die verbliebenen Deutschen, also »unsere Deutschen«, sprechen sehr gut Tschechisch, man kann diese Leute nicht direkt anhand ihrer Sprache erkennen. Es gibt aber einige Vereine der deutschen Minderheit, mit denen wir in Kontakt sind. Denn wir möchten auch auf die Deutschen in Böhmen eingehen, die nach 1945 hier gelebt haben beziehungsweise noch leben. In diesem Zuge wollen wir einige Persönlichkeiten aus der Nachfolgegeneration hervorheben, die eine deutsche Abstammung hatten. Etwa Pavel Wonka, ein antikommunistischer Aktivist, der im Jahre 1988 im Gefängnis gestorben ist. Er ist eine symbolische Figur für unsere Oppositions- und Dissidentenbewegung, aber von seiner deutschen Abstammung weiß kaum jemand. Er ist damals in die Opposition gegangen, unter anderem weil er als Sohn eines deutschen Soldaten diskriminiert wurde. Auch er wird also in der Ausstellung eine Rolle spielen.
Haben Sie persönlich ein Lieblingsexponat?
Das Album der Beatles Yellow Submarine. In unserem Gebäude war ursprünglich eine Schule, die noch zu österreichisch-ungarischer Zeit gebaut wurde. Wir haben nach bekannten Persönlichkeiten gesucht, die auf diese Schule gegangen sind. Eine dieser war Heinz Edelmann, ein bildender Künstler, der das Album-Cover von Yellow Submarine entworfen und die bekannten Figuren der Beatles gemalt hat. Das scheint auf den ersten Blick etwas verrückt, aber das ist die Verbindung zu »unseren Deutschen«. Die Beatles hatten selbst Kontakt mit ihm. Er wird heute als einer der wichtigsten Künstler des 20. Jahr¬hunderts betrachtet und starb 2005 in New York. Im ersten Ausstellungsraum erzählen wir seine Geschichte.
Ruft die Ausstellung in Tschechien Kontroversen hervor?
Momentan nicht. Das könnte sich eventuell ändern. Da sind sicher Kontroversen zu erwarten, vor allem vonseiten der Nationalisten, die sich fragen, warum wir die Deutschen so präsentieren. In Tschechien gibt es bisher kein ähnliches Museum. Aber hier in Aussig ist die Situation anders als in Prag. Bundeskanzlerin Merkel hat sich beim damaligen Kulturminister mehrfach nach dem Stand der Ausstellung erkundigt, weswegen wir sie gern zur Eröffnung einladen möchten. Für die Bewohner hier wäre das eine große Ehre, wenn uns die deutsche Bundeskanzlerin besuchen würde.
Wie wollen Sie den Kritikern den Wind aus den Segeln nehmen?
Die nationalistischen Politiker in Tschechien behaupten, dass alle Deutschen Nazis waren, und dass die Vertreibung gerecht war. Deswegen möchte ich in der Ausstellung zeigen, dass es auch Deutsche gab, die Hitler nicht unterstützt haben. Zudem möchten wir den tschechischen Widerstand präsentieren. Dazu gibt es einen Raum, der dem Zweiten Weltkrieg gewidmet ist und in dem drei Perspektiven vorgestellt werden: eine deutsche, eine jüdische und eine tschechische. Zu jedem Thema werden einzelne Exponate vorgestellt. Beispielsweise werden wir Gegenstände aus dem Besitz eines tschechischen Fallschirmspringers erhalten, der am Attentat auf Heydrich beteiligt war. Wenn uns also jemand vorwirft, wir würden in unserer Ausstellung die Faschisten verherrlichen, dann wehre ich mich ganz klar dagegen.
Tschechien gilt derzeit auch als ein EU-kritisches Land. Wie erklären Sie sich das?
Bei uns gibt es die stereotype Phrase O nás bez nás!, also »Über uns, ohne uns«. Einst wurde in Wien 1815 ohne uns über unser Schicksal bestimmt, danach in München 1938, in Berlin 1939, in Moskau nach dem Zweiten Weltkrieg und nun in Brüssel. Mit diesem Argument soll ausgedrückt werden, dass wir keine Herren im eigenen Land seien. Doch in letzter Zeit wird erkennbar, dass die Unterstützung für die EU-Kritiker sinkt.
Welchen Beitrag kann Ihre Ausstellung zur Versöhnung leisten?
Unser Ziel ist es, Stereotype abzubauen.
Wie?
Die Ausstellung kann dazu beitragen, dass vor allem die junge Generation aufgeklärt wird – beispielsweise darüber, dass Deutsche hier bereits seit dem Mittelalter lebten und wir diejenigen waren, die diese Gruppen 1945 vertrieben. Natürlich auch, dass sie sehr wichtig waren für das Leben in Böhmen. Ich denke, dass die junge Generation nicht viele Informationen darüber hat, daher zielen wir auf Schulklassen ab. Die Ausstellung kann eine breite Wirkung in der Öffentlichkeit erzeugen und aufgrund der Fülle an Informationen zur allgemeinen Bildung beitragen.
Wird damit ein »schwieriges« Geschichtskapitel abgeschlossen?
Ich denke, dass die deutsch-tschechische Beziehung auf einem guten Stand ist. Natürlich kann die Ausstellung nicht die Geschichte ändern und das, was passiert ist, können wir nur beschreiben, musealisieren und darüber sprechen.
www.collegiumbohemicum.cz
Weitere Informationen zur Ausstellung auf den Internetseiten des Collegium Bohemicum
(in tschechischer Sprache)