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Erzbischof Alfons Nossol Foto: © Markus Nowak

Alfons Nossol war bis 2009 32 Jahre lang Bischof der Diözese Oppeln/Opole. Der 87-jährige Oberschlesier gilt als Brückenbauer zwischen Polen und Deutschland und als Mittler zwischen den Konfessionen. 1989 ließ er wegen der hohen Zahl von deutschsprachigen Christen in seiner Diözese Gottesdienstfeiern auch in deutscher Sprache zu, »der Sprache des Herzens«, und feierte im November die historische »Versöhnungsmesse«. Für seine Verdienste um die Völkerverständigung erhielt er zahlreiche Preise, u.a. das Bundesverdienstkreuz und den Erzbischofs-Titel ad personam. Die Fragen stellte Markus Nowak.

 

Erzbischof Nossol, Sie haben im November 1989 die Versöhnungsmesse mit Bundeskanzler Helmut Kohl und Polens Premier Tadeusz Mazowiecki gefeiert und damit Geschichte geschrieben

Nossol: … so würde ich es nicht übertreiben und es anders bezeichnen.

Aber heutige Geschichtsbücher haben die Messe als Thema.

Nossol: Ja, denn da begann etwas Neues. Auch ein neues Denken, dass man nicht mehr nur gegeneinander ist, sondern zusammen etwas Neues beginnen soll, wie Versöhnung. Damals gab es keinen richtigen Dialog, Polen und Deutschland hatten sich als Feinde betrachtet. Aber es ist ähnlich wie in der Familie, man kann sich nicht die Geschwister oder Nachbarn aussuchen. Und man muss das als Realität anerkennen und Realist bleiben. Also alles dafür tun, dass wir menschlich bleiben.

Wer kam auf die Idee eines Gottesdienstes mit den beiden Staatsmännern?

Nossol: Das war die Idee von Helmut Kohl, ganz persönlich. Einer seiner Berater hatte die Ansicht, es sei Zeit, mit Polen brüderlich und friedlich zu leben. Ich habe dann dessen Sohn getroffen, der mir berichtete, Kohl wolle nach Polen kommen und einen neuen Versöhnungsprozess beginnen. Er wollte in die Tiefe gehen, duc in altum, und ein neues Kapitel aufschlagen. Dies war möglich auf der Basis des Christentums.

Den ersten Planungen zufolge sollte die Versöhnungsmesse in dem wichtigsten Wallfahrtsort Oberschlesiens auf dem St. Anna-Berg gefeiert werden.

Nossol: Ich traf Kohl und sagte ihm: Herr Bundeskanzler, wir planen bereits eine Friedensmesse am Annaberg, zum ersten Mal in der »Sprache des Herzens«. Das war ein Ausdruck von Kardinal Bertram, dem damaligen Bischof von Breslau, der einst größten Erzdiözese Europas, die von Berlin bis Kattowitz reichte. Damals wurde von ihm die polnische Sprache so bezeichnet, weil viele polnischsprachige Christen auf dem Gebiet lebten. Er ließ gar keine Kapläne weihen, wenn sie nicht mindestens zwei Semester »die Sprache des Herzens« gelernt hatten. Nach dem Krieg ging die Bezeichnung auf die deutsche Sprache über. Am 4.Juni 1989 feierten wir dort die erste Messe in der »Sprache des Herzens«. Hätten wir gesagt, eine deutsche Messe auf dem Annaberg, wäre es zu politisch geworden. Und so habe ich es dem Bundeskanzler erzählt, und er sagte: Das ist ja herrlich, dann machen wir es so.

Es wurde aber Kreisau/Krzyżo­wa, das frühere Gut des Grafen von Moltke. Wie kam es dazu?

Nossol: Dafür war ich ein wenig verantwortlich. Auf dem Annaberg hätte es zu Ausschreitungen von polnischen Nationalisten kommen können. Ich kannte den Kreisauer Kreis, der in Polen damals kaum bekannt war. Ich habe Mazowiecki davon erzählt, dass Kreisau auch ein ökumenischer Ort sei, weil in dem konspirativen Kreis gegen die Nazis sowohl katholische als auch evangelische Christen teilgenommen hatten und auch nichtreligiöse Menschen. Das hat ihm gefallen und neben Kardinal Karl Lehmann, dem Vorsitzenden der Bischofskonferenz, überredeten wir damals auch Kohl. Ich meinte, es solle ein Neubeginn sein und als Frucht dieser Messe soll Versöhnung möglich werden. So ist es dazu gekommen.

Kanzler Kohl musste den angesprochenen Polen-Besuch vor dreißig Jahren unterbrechen, weil derweil in Berlin die Mauer gefallen war. Aber er kam zurück, um die Messe zu feiern

Nossol: Keiner glaubte daran, aber er kam wieder. Er musste über Warschau reisen und dort herrschte schlechtes Wetter, so dass die Delegation auf Autos umstieg. Wir warteten derweil in Kreisau. Die deutsche Minderheit konnte zum ersten Mal offiziell zu so einem Anlass kommen, und sie kamen mit einem Dutzend Bussen, was gut war, weil sonst Kreisau fast leer geblieben wäre. Sie hatten aber dieses Banner: »Helmut, du bist auch unser Kanzler.« Da trat Mazowiecki an mich heran und fragte, was das bedeuten solle. Ich sagte ihm, das sei theologisch und politisch zu verstehen. Theologisch: Wir feiern eine Messe und da braucht man keine Angst zu haben, das wird schon gut werden. Und politisch erklärte ich ihm die Mentalität von vielen Schlesiern: »Wir haben zwei Regierungschefs: Sie sind der erste und Kohl ist der andere.«

Die Versöhnungsmesse, die Rolle von Papst Johannes Paul II. oder die Botschaft der polnischen Bischöfe an ihre deutschen Amtsbrüder zur Versöhnung 1965 – ohne Kirche keine Wende von 1989 und keine deutsch-polnische Aussöhnung?

Nossol: Ich würde es eher so formulieren: ohne Christentum keine Wende. Denn der Kommunismus hat das Christentum bekämpft, er hatte Angst vor der Allumfassenheit der Kirche. Man kann zu Recht sagen: Ohne die Kirche hätte man den Kommunismus nicht überwinden können.

Bedarf es dreißig Jahre nach der historischen Versöhnungsmesse wieder eines solchen Zeichens?

Nossol: Schwer zu sagen. Eine Messefeier kann gut sein, aber hinterher braucht man auch eigenen Heroismus, um weiterzugehen. Damals vor dreißig Jahren wusste ich, ich bekomme jetzt keine Ruhe. Und schon am dritten Tag nach der Versöhnungsmesse wurde ein Graffito an die Kurienfassade geschmiert: »Nossol raus nach Berlin!« Der Polizeikommandant rief mich an und sagte, ich soll es wegmachen. Nach einer halben Stunde meldete er sich wieder und kündigte an, es zu übermalen. Aber dann tauchten erneut Schmierereien auf. Ich kam auf die Idee, sie mit den eigenen Waffen zu schlagen. Ich ergänzte den Spruch: »Nossol nach Berlin – um deutsche Medikamente für polnische Krankenhäuser zu besorgen.« Und es verschwand, ganz friedlich.