Estlands größte Insel
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Die Burg Arensburg (estn. Kuressaare linnus) auf der Insel Ösel. Foto: © Minu Hiiumaa, wikimedia commons, 2014

Eysýsla, Ösel, Saaremaa: Ob in den isländischen Sagas, auf Deutsch oder Estnisch, der Name bedeutet stets »Inselland«. Die mit 2.673 km2 größte Insel Estlands trennt die Rigaer Bucht von der übrigen Ostsee, erhebt sich kaum mehr als 15 Meter über den Meeresspiegel und ist zu ca. 40% bewaldet.

Das Wikingergrab von Salme aus dem 8./9. Jahrhundert und Runensteine zeugen davon, dass Ösel schon in der Vorzeit auf den Routen von Händlern und Seeräubern lag. Im Zuge der gewaltsamen Christianisierung Alt-Livlands (des heutigen Estland und Lettland) eroberte der in Riga gegründete Schwertbrüderorden 1227 die Insel. Weite Teile der Insel wurden dem Bistum Ösel-Wiek unterstellt, das auch die Westküste des estnischen Festlands umfasste. Nordwesten, Nordosten und die kleinere Insel Moon zwischen Ösel und dem Festland gehörten den Schwertbrüdern, die nur zehn Jahre nach der Eroberung Ösels mit dem Deutschen Orden vereinigt wurden. Die estnische Bevölkerung wehrte sich wiederholt gegen die neuen Herren und den Zuzug von deutschen Rittern, Händlern und Handwerkern, zuletzt im großen Aufstand, der in der Georgsnacht 1343 auf dem Festland begann. Die Öselaner konnten die Festung in Peude/Pöide zerstören und die Insel bis zum Winter 1345/46 unter ihrer Kontrolle halten.

Wappen der Oeselschen RitterschaftWappen der Oeselschen Ritterschaft

Schon während des Spätmittelalters hatten sich die meist aus Norddeutschland und Westfalen stammenden adeligen Vasallen als Oeselsche Ritterschaft zusammengeschlossen, um ihre Interessen gegen den Landesherrn durchzusetzen, auszuweiten und zu bewahren. Als im Laufe der Reformation der Adel sich der evangelischen Lehre anschloss, gab sich die Ritterschaft – auch als Provokation gegenüber dem Bischof –das Motto »Das Wort Gottes Bleibet Ewiglich«, das als »DWGBE« bis heute ihr Wappen ziert. Die Reformation destabilisierte Alt-Livland, das eine eigenwillige Mischung aus Bistümern und dem livländischen Zweig des Deutschen Orden war, da es seinen geistlichen Herren die Legitimation ihrer weltlichen, also militärischen und politischen Macht entzog.

Mit dem Angriff Zar Ivans IV. zerbrach diese alte Ordnung 1558 endgültig: Nordestland unterstellte sich als Provinz Estland dem schwedischen König, die übrigen Gebiete gerieten als Provinz Livland direkt und als Herzogtum Kurland mittelbar unter polnische Kontrolle. Ösel aber kam 1559 an Dänemark, das es erst 1645 im Frieden von Brömsebro an Schweden abtrat. Mit den Provinzen Estland und Livland, zu der Ösel gehörte, wurde die Insel im Großen Nordischen Krieg 1710 von Zar Peter I. erobert und blieb bis zum Ende des Ersten Weltkriegs Teil des Russischen Reichs.

Träger der Selbstverwaltung blieb trotz aller Herrschaftswechsel die Oeselsche Ritterschaft mit ihrem Sitz im »Ritterhaus« in Arensburg/Kuressaare. Besonders engagiert wirkte der livländische Vizegouverneur Balthasar von Campenhausen von 1783 bis 1797 auf der Insel. Er veranlasste eine Landvermessung mit Erhebung der Bodengüte, ließ Moore entwässern, Bäume anpflanzen, strukturierte Behörden neu und ließ Straßen und Postdienst verbessern.

Ein berühmter Sohn der Insel war Fabian Gottlieb von Bellingshausen, ein kaiserlich-russischer Marineoffizier. Ein erster Höhepunkt seiner Karriere war die Teilnahme an der ersten russischen Weltumseglung unter A. J. von Krusenstern. Von 1819 bis 1821 leitete er die erste russische Antarktisexpedition, auf der nicht nur 29 neue Inseln in Atlantik und Pazifik entdeckt wurden, sondern auch das erste Mal das Schelfeis gesichtet wurde, das zur Antarktis gehört.

Ende 1917 wurde Ösel von deutschen Truppen besetzt, anschließend Teil der im Februar 1918 ausgerufenen Republik Estland. Die Agrarreform des jungen Staates enteignete den – zumeist deutschbaltischen – Großgrundbesitz weitgehend, was neben der Auflösung der Ritterschaft als Körperschaft zur Abwanderung vieler Familien führte. Mit der Umsiedlung im Herbst/Winter 1939 verließen fast alle Deutschbalten die Insel, die im Zweiten Weltkrieg zwischen Wehrmacht und Roter Armee schwer umkämpft war.

Heute leben mit ca. 36.000 Personen gute drei Prozent der Bevölkerung des seit 1991 wieder unabhängigen Estland auf der Insel. Mit viel Liebe und Einsatz pflegen sie nicht nur die letzten der einst vielen Bockwindmühlen, die eine Art Symbol der Insel sind, sondern auch die Spuren der ehemaligen deutschen Bewohner. Klangvolle deutschbaltische Namen schmücken heute Hotels oder Restaurants, nicht nur in der Inselhauptstadt Arensburg/Kuressaare.

Unser Tipp

In Karja befindet sich die kleinste Kirche der Insel, die im 14. Jahrhundert erbaut wurde. Die reich verzierte Kanzel ist jedoch jünger, sie stammt aus der Spätrenaissance. 
Eine der ersten Steinkirchen Estlands steht in Wolde/Valjala, nahe den Überresten eines estnischen Ringwalls, bei dem den Kreuzrittern 1277 der Sieg gelang, der den Widerstand der Esten gegen die Christianisierung brach.

Literatur

Pistohlkors, Gert von (Herausgeber): Baltische Staaten. In: Deutsche Geschichte im Osten Europas, Siedler Verlag, 1994

Tuchtenhagen, Ralph: Geschichte der baltischen Länder. München 2005.

Links

Deutsch-Baltische Gesellschaft e. V.

Carl-Schirren-Gesellschaft e.V.

Nordost-Institut, Institut für Kultur und Geschichte der Deutschen in Nordosteuropa, Lüneburg

Saaremaa Museum