Zwischen polnischen Preußen und preußischen Polen
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Die Breite Straße in Posen/Poznań

Das historische Zentrum des polnischen Staates

Die Provinz Posen war eine 1815 bis 1920 bestehende Provinz im Osten des Preußischen Staates, ab 1871 gehörte sie zum Deutschen Reich. Nach der Zweiten Teilung Polens 1793 vereinte die zunächst Südpreußen zugeordnete preußische Provinz den größeren westlichen Teil Großpolens mit dessen Hauptstadt Posen (Poznań) und den seit der Ersten Teilung 1772 Westpreußen angegliederten Netzedistrikt mit der Stadt Bromberg (Bydgoszcz).

Das »Großpolen« auf polnisch »Wielkopolska«, genannte Gebiet war das historische Zentrum des polnischen Staates und ist heute eine der reichsten und am besten entwickelten Woiwodschaften.

Ein Mekka für Siedler

Posen wurde 1253 als polnische Stadt nach dem Magdeburger Recht gegründet und für Ansiedler – vor allem aus der Lausitz und aus Schlesien – sowie für jüdische Kaufleute aus dem deutschsprachigen Raum geöffnet. In der Region um Posen siedelten sich seit dem Mittelalter in mehreren Wellen Bauern aus dem deutschen Sprachraum an. Diese hatten sich allerdings zum Ende der Adelsrepublik Polen-Litauen (1569–1795) zum großen Teil polonisiert.

Kolonisierung auf Einladung: Die Posener Bamberger

Durch den Nordischen Krieg und Seuchen wurde die Gegend um Posen stark verwüstet und entvölkert. Auf Einladung der Stadt und des Bischofs von Posen kamen zwischen 1719 und 1753 etwa 500 Kolonisten aus der Bamberger Gegend hierher. Die Siedler bekamen unentgeltlich Baumaterial und Saatgut und zeitweilige Befreiung von Abgaben. Die einzige Anforderung war der katholische Glaube und die Teilnahme an den Gottesdiensten in den bestehenden Kirchen. Diese Voraussetzungen trugen dazu bei, dass die deutschen Kolonisten zusammen mit den polnischen Dorfbewohnern die Gegend schnell wieder aufbauten und sich bewusst und freiwillig – auch durch Mischehen – assimilierten.

Bismarcksche Germanisierungspolitik

Vor dem Ersten Weltkrieg machte der überwiegend protestantische deutsche Bevölkerungsanteil, zu dem sich auch die jüdische Bevölkerung rechnete, etwa 35 Prozent aus. Die deutschen Bewohner der Provinz Posen lebten überwiegend in den westlichen und nördlichen Kreisen, während der zentrale und südliche Teil der Provinz seinen polnischen und katholischen Charakter behielt.

Mit dem Kulturkampf und der Bismarckschen Germanisierungspolitik wurde die Provinz – wie auch Westpreußen – zum Schauplatz erbitterter deutsch-polnischer Streitigkeiten mit nationalem Hintergrund. Bismarck verschärfte ab 1871 die polenfeindliche Politik, da er in einem um Unabhängigkeit ringenden Polen eine Gefahr für das gerade gegründete Deutsche Reich sah, doch seine Absicht, die Polen zu germanisieren, ihre Rechte zu unterdrücken, verkehrte sich ins Gegenteil, indem sein Kulturkampf, gerade gegen die katholische Kirche, den Widerstand der Polen schürte und ihren Zusammenhalt stärkte. Parallel zu dieser Entwicklung lernten und übernahmen die Polen die preußischen Regelungen im Bereich der Vereine, der Genossenschaftsbanken etc. und gründeten eigene Organisationen und Institutionen.

Posen wird Grenzmark

Von den 2,1 Millionen Einwohnern um 1910 gaben knapp zwei Drittel polnisch, etwas mehr als ein Drittel deutsch als Muttersprache an. Nach dem Ersten Weltkrieg fiel die Provinz mit Ausnahme ihrer westlichen Kreise an den wieder entstandenen polnischen Staat zurück. Zusammen mit den beim Deutschen Reich verbliebenen westlichen Kreisen Westpreußens bildeten die westlichen Teile der Provinz Posen ab 1922 die so genannte »Provinz Grenzmark Posen-Westpreußen«. 1938 wurde sie aufgelöst und der Provinz Brandenburg angegliedert. Der Kreis Fraustadt (Wschowa) fiel an Schlesien. Aus den 1920 an Polen übergegangenen Gebieten wanderte die Mehrzahl der städtischen deutschen und jüdischen Bevölkerung und der auf Kleinbesitz angesiedelten Kolonisten ins Deutsche Reich ab.

Reichsgau Wartheland

Während des Zweiten Weltkriegs wurde aus der Region gemeinsam mit dem Lodzer Industriegebiet der »Reichsgau Wartheland« gebildet, in dem nach der Vertreibung der polnischen Bevölkerung in das Generalgouvernement aufgrund von Verträgen vor allem mit der Sowjetunion »volksdeutsche Umsiedler«, vorwiegend aus dem Baltikum und aus Bessarabien angesiedelt wurden.

Nach dem Zweiten Weltkrieg wurde der gesamte historische Raum der Provinz Posen polnisch, die verbliebenen Deutschen flüchteten oder wurden vertrieben.

Konkurrenz kurbelt Wirtschaft an

Die Region war und ist landwirtschaftlich geprägt. Es dominierten Acker- und Gartenbau sowie Viehwirtschaft, Pferde-, Schaf- und Schweinezucht. Flüsse und Seen luden zum Fischfang, darüber hinaus entstanden auch Fischzuchtanlagen. Eine wichtige Rolle spielte die Lebensmittelverarbeitung in Form von Zuckerfabriken, Bierbrauereien und Alkoholbrennereien sowie die im 19. Jahrhundert entstehende Industrie, wie Maschinenbau, Glashütten und Ziegeleien. Den Verkehr in der Region Landstrich befördern mehrere Eisenbahnlinien sowie die Wasserwege. In der Landwirtschaft und in der Industrie war eine intensive Konkurrenz zwischen Deutschen und Polen zu beobachten, was zur schnellen Modernisierung und zivilisatorischen Entwicklung des Landes führte.

Heute spielt die Landwirtschaft und Lebensmittelindustrie immer noch eine große Rolle. Schnell entwickelt sich die Auto-, Pharma-, Möbel-, Keramik-, Glas-, und Chemie- und Maschinenbauindustrie. Die Stadt Posen ist die wichtigste Messestadt Polens.

Kultur und Kampf der Kulturen

Die Kultur spielte in der preußischen Provinz Posen keine besondere Rolle, allerdings trugen das deutsche öffentliche Schulwesen und die gut entwickelte Berufsausbildung dazu bei, dass sich das kulturelle Leben entwickelte. Deutsche und polnische Intelligenz ließ ihre Kinder an den Universitäten in Berlin, Breslau und Heidelberg studieren. Auch die polnische Bevölkerung wusste aus der Einverleibung Großpolens ins preußische Königreich Vorteile zu schlagen. 1904 wurde in Posen das Kaiser-Friedrich-Museum eröffnet. Als Paradoxon ist zu betrachten, dass den Kern der Sammlung dieses Museums die Gemäldesammlung des polnischen Adeligen Athanasius Raczyński bildete. 1910 wurde in Posen das Opernhaus eröffnet, es existierten hier zwei Theater – das Deutsche und das Polnische – sowie zahlreiche deutsche und polnische Kulturvereine. Heute ist Großpolen eine interessante Kulturlandschaft mit vielen Museen, Theatern, Bibliotheken sowie Musik- und Kunstveranstaltungen.

Perspektiven

Der polnisch-deutsche Konflikt nach 1871, der in der politischen Propaganda immer wieder hochgespielt wurde, prägt ebenso wie die Erfahrung der Entrechtung und »Aussiedlung« in das Generalgouvernement während der Besetzung durch die Nationalsozialisten bis heute die Einstellung der Posener Polen zu Deutschland und den Deutschen.

Seit den 1980-er Jahren wird allerdings auch die Frage nach der Rolle Preußens in der Geschichte des Landes gestellt und die Bedeutung der deutschen Sprache in der Kultur neu entdeckt. 1993 organisierte der Schriftstellerverband eine literaturwissenschaftliche Konferenz über die deutschen Autoren der Region wie Gertrud Chodziesner-Kolmar, Leonie Ossowski, Ernst Toller und Rudolf Samuel Levysohn. Das gleiche gilt für das historische Gebiet des Netzedistrikts. So werden in den sechs seit 1994 erschienenen Bänden des Bromberger Biographischen Lexikons (Bydgoski Słownik Biograficzny) die deutschen und die polnischen Mitbürgerinnen und Mitbürger in der Geschichte der Stadt gleichberechtigt behandelt. Von 2001 bis 2009 wurde in Posen das internationale E.T.A. Hoffmann-Festival organisiert. Als deutsch-polnische Vermittler gelten der Komponist und Politiker Anton von Radziwill sowie der polnische Graf und preußische Diplomat Athanasius (Atanazy) Raczynski.

In Großpolen ist die Sozial-Kulturelle Gesellschaft der deutschen Minderheit tätig, die seit 1990 besteht. Die Zahl der Mitglieder, in der Anfangszeit rund 1000, ging in den darauf folgenden Jahren stark zurück. Heute liegt sie zusammen mit Familienangehörigen bei ungefähr 700 Personen.

Unser Tipp

  • Die Stadt Posen (Poznań) mit der Altstadt, dem Dom und dem Kaiserforum
  • Die Stadt Gnesen (Gniezno), die erste Hauptstadt Polens
  • Die Flüsse Warthe (Warta) und Netze (Noteć)
  • Die Schlösser Kórnik, Antonin und Rogalin
  • Museum der Bamberger Posener (Muzeum Bamberskie) in Posen
  • Stadtspaziergang auf Hoffmanns Spuren mit dem Historiker Janusz Pazder

Literatur & Links

Breslauer, Bernhard: Die Abwanderung der Juden aus der Provinz Posen. Denkschrift im Auftrag des Verbandes der Deutschen Juden. Berlin 1909. Online.

Libicki, Marcin/Libicki, Piotr: Dwory i pałace wiejskie w Wielkopolsce. Poznań 2003. Krische,

Paul/Riemann, Carl: Die Provinz Posen. Ihre Geschichte und Kultur unter besonderer Berücksichtigung ihrer Landwirtschaft. Staßfurt 1907 [Nachdruck: Melchior, Wolfenbüttel 2011].

Neubach, Helmut: Beiträge zu einem biographischen Lexikon der Deutschen aus dem Raum der Provinz Posen. Nach den 1978-1998 in der Zeitschrift Der Kulturwart von Joachim Heinrich Balde herausgegebenen Posener Biographien. Martin-Opitz-Bibliothek, Herne 2003.

Paradowska, Maria: Bambrzy. Poznań 1998.

Pazder, Janusz (Hrsg.): Atlas architektury Poznania. Poznań 2008.

Gerke, Wilfried: Posener biographisches Lexikon. Lüneburg 1975.

Raether, Manfred: Polens deutsche Vergangenheit. Schöneck 2004.

Sprungala, Martin: Die Geschichte der Posener Kreise und kreisfreien Städte. Bad Bevensen 2007.

Sprungala, Martin: Historisches Ortsverzeichnis der Provinz Posen und der Wojewodschaft Poznan (Posen). Bad Bevensen 2007.

Kaiserschloss Posen/ Zamek cesarski w Poznaniu. Potsdam – Posen 2003

Links

www.wielkopolska-region.pl
mehrsprachig