aus Anlass der Verleihung des Georg Dehio-Kulturpreises 2007
1
verschiedene Titelblätter des Dialog
Prof. Dr. Heinrich Olschowsky
Die Redaktion des Deutsch-Polnischen Magazins Dialog (v.l.): Basil Kerski (Chefredakteur), Sabine Stekel, Krzysztof Zastawny, Piotr Mordel (es fehlt: Monika Satizabal Niemeyer)
Basil Kerski, Chefredakteur des DIALOG, während seiner Dankesrede

Wenn ein journalistisches Unternehmen gewürdigt werden soll, ist man geneigt zu sagen; am Anfang war das Wort. War es aber nicht. Am Anfang standen 1987 der aufklärerische Enthusiasmus und die Zuversicht von Günter Filter, Silke Lent und Adam Krzemiński, dass eine solche editorische Initiative in Deutschland lohne. Es war durchaus eine Frage, wie aussichtsreich es sei, gegen das offenkundige Desinteresse an Polen anzuschreiben. Nun ist jener Mangel an Aufmerksamkeit hierzulande weniger eine willentliche Entscheidung des einzelnen, als der unwillkürliche Nachvollzug eines ignoranten Verhaltensmusters der Öffentlichkeit. Wer sich damit nicht abfinden wollte, der brauchte Ausdauer, Phantasie, Professionalität – und eine gewisse Aussicht auf Nachhaltigkeit, um solche Gewohnheiten aufzubrechen. Des weiteren war abzusehen, dass eine reguläre Zeitschrift auf Unterstützung angewiesen sein würde. Um so mehr musste man sich vor der Versuchung hüten, etwa als Reklameblatt des einen oder anderen Außenministeriums seine Leser zu langweilen. Auch wären diese, zunächst nur deutschen Leser, schwerlich zu gewinnen und zu halten gewesen, hätte die Redaktion die Rolle eines Beschwerdeführers unerfüllter polnischer Wünsche übernommen. Bemühen um Unabhängigkeit, um Objektivität und Offenheit waren das Startkapital. Es sollte in Zukunft als Vertrauen der Leser, der deutschen wie der polnischen, Zinsen bringen – seit 1995 erscheint das Magazin in zweisprachiger Fassung, und in diesbezüglich hoher Qualität.

Offenheit, nannte Tadeusz Mazowiecki – der erste demokratisch gewählte, nicht kommunistische Premierminister Polens und langjährige Chefredakteur des Monatsblattes Więź – einmal das Kernstück des Dialogs. Es ist die Überzeugung, dass in den Standpunkten der anderen Seite Werte beschlossen sind, die auch mich bereichern können. Dialog sei keine höfliche Geste, keine bloße Laune, die man gewährt, oder eben verweigert. Vielmehr ist er die Grundvoraussetzung einer demokratischen Gesellschaft, ja, aller kulturellen Entwicklung überhaupt. Ein Dialog, der ernst gemeint ist und ernst genommen werden will, spielt sich in der Regel zwischen ungleichen Partnern ab. Auch zwischen Partnern ungleicher Stärke. Aber eben – der Dialog macht sie zu Partnern. Darum ist es keineswegs zwingend, dass patriarchalische Herablassung des Stärkeren oder trotzige Verweigerung des Schwächeren das Verhältnis zwischen ihnen bestimmen muss. Zwar lösen sich gegensätzliche Positionen nicht einfach auf. Aber im Dialog kommt eine Energie zur Entfaltung, die den Dingen eine andere Dimension erschließt. Eine Dimension, in der Begegnung, Akzeptanz und gegenseitige Bereicherung möglich werden.

Die ersten Hefte des Dialog erreichten mich in Ost-Berlin nicht. Es sei denn, Adam Krzemiński, den ich seit Ende der 60er Jahre kannte, händigte sie mir in Warschau aus. Das deutsch-polnische Verhältnis so zu problematisieren, wie es der Dialog tat, war in der DDR ausgeschlossen. Das galt bis 1989. Das Revolutionsjahr in Ostmitteleuropa brachte einen befreienden Impuls: das Ende der Aisopischen Rede, das Ende der Unaufrichtigkeit. Und die deutsche Einheit erweiterte das Wirkungsfeld des Magazins nach Osten hin. Auch die Redaktion wanderte ostwärts; von Hamburg nach Berlin, in die europäische Metropole. Nicht ohne eine gewisse Erregung begegne ich im Dialog eigenen Texten aus der Zeit der friedlichen Revolution in der DDR.

1998 übergab das Tandem Filter/Krzemiński die Leitung der Zeitschrift an Basil Kerski, den zweisprachigen Journalisten, dem es mit seiner Mannschaft – stellvertretend genannt sei die unersetzliche Sabine Stekel – gelang, das Profil glücklich zu erweitern und das Magazin mit Erfolg in der Öffentlichkeit zu platzieren. Ein Rückblick auf die vergangenen zwanzig Jahre weist den Dialog als eine eigenwillige zeitgeschichtliche Chronik aus, mit der deutsch-polnischen Problematik im Brennpunkt. Eine Nabelschau auf das bilaterale Verhältnis wurde allerdings vermieden. Immer ist der nähere oder fernere europäische Kontext präsent, z.B. die Nachbarn: Frankreich, Tschechien, Ukraine, Russland; die Europäische Union als Ganzes oder das tragisch verstrickte Dreieck: Deutsche, Polen, Juden.

Eine kleine Abschweifung, die Nachbarschaft betreffend: Nach Gründen für die Verstimmung der letzten Zeit suchend, kam mir der Gedanke, das Verhältnis der Polen zu Deutschland nicht immer nur mit der deutsch-französischen Elle zu messen. Diese ist anders geeicht. Wie wäre es dagegen mit einem Vergleich z.B. der Beziehung der Holländer zu Deutschland. Ein niederländischer Publizist – Willem L. Brugsma – nannte diese Verhältnis von einem Syndrom bestimmt, nämlich: »Wird sind klein und sie sind groß, und das ist nicht gerecht. Und deshalb« – so fuhr er fort – »verhalten wir uns wie kleine Köter einem Wolfshund gegenüber: Wir zeigen die Zähne, wir knurren und sträuben das Rückenfell, praktizieren defensive Abschreckung.« Ende der Abschweifung.

Vom Profil her bringt das Magazin für beide Leserschaften interessante Informationen, Analysen und Meinungen zu Politik, Kultur, Wirtschaft und Gesellschaft. Es dokumentiert wichtige Ereignisse und Vorgänge, wie z.B. den Nachbarschaftsvertrag von 1991. Thematische Schwerpunkte werden gebildet, die aktuelle interne Entwicklungen in beiden Ländern betreffen. Zur Sprache kommt, was für die deutsch-polnische Nachbarschaft wesentlich ist. Was sie beeinflusst, fördert oder beeinträchtigt, das wird vielstimmig und oft genug kontrovers ausgelotet. Und ist Kritik fällig, so kehrt, bitte schön, jeder am besten vor seiner eigenen Haustür. Zwei literarische Beispiele aus dem Dialog. Der weltbekannte Science-fiction Autor Stanisław Lem schrieb 1991: »Ich bemerke leider tiefe, nahezu versteinerte Geleise der polnischen Dummheit, in denen wir uns nachgerade mit Genuss zu bewegen beginnen, weil sie so vertraut sind.« Und Klaus Staemmler (1921–1999), der verdienstvolle Übersetzter polnischer Prosa, bemerkte 1999: »Oft glaubten wir besser zu sein als die Polen, besser in verschiedenen Bereichen des Lebens … Das Gefühl der Überlegenheit z.B. auf wirtschaftlichem, aber – ungerechtfertigter Weise – auch auf kulturellem Gebiet, war und ist leider sehr verbreitet … Auch wenn es nicht ausgesprochen wird, wenn man schweigt, spüren die Polen diese Nuancen heraus.«

Themen, die neuerdings als heikel gelten, wurden hier nicht ausgespart, im Gegenteil, sie rückten und rücken in den Mittelpunkt einer möglichst rationalen Analyse, dazu gehört: die Kritik am banalisierten Versöhnungsbegriff; das Spannungsfeld von kollektivem Gedächtnis und Identität; die Problematik ethnischer Minderheiten in beiden Ländern; Flucht, Vertreibung und Integration; Diskussion um die Rückführung kriegsbedingt verbrachter Kulturgüter oder das Verhältnis beider Länder als Nachbarn und EU-Partner zu Russland.

Auf besonderes Interesse deutscher Leser, aber inzwischen auch der Polen, dürften Beiträge stoßen, die auf unvoreingenommene Art zeigen, wie einzelne Regionen des ehemaligen deutschen Ostens – Schlesien, Pommern, Pommerellen, Ostpreußen – oder Städte wie Danzig, Breslau, Stettin in ihrer gegenwärtigen Entwicklung sich ausnehmen und wie ihre Vergangenheit, das deutsche bzw. multikulturelle Erbe von der jungen Generation in Polen angenommen wird. Über die Herausgabe der Zeitschrift hinaus haben Vernetzungsinitiativen der Redaktion – Konferenzen, Partnerschaften mit Einrichtungen in In- und Ausland, eine Buchreihe beim fibre-Verlag – ein Stück bislang vermisster Öffentlichkeit in Deutschland hergestellt, in der die Aufmerksamkeit für verschiedene Seiten der Nachbarschaft nachhaltig gebündelt werden kann. Mit ihren spannenden Informationen, dem vermittelnden Anliegen und der ausgewogenen politischen Meinung hat die Zeitschrift bei Lesern unterschiedlicher Provenienz Ansehen und Autorität gewonnen.

Die Redaktion muss einen gewissen Spagat vollziehen; einerseits das Niveau des publizistischen Diskurses, der eine breite Öffentlichkeit anspricht, hoch halten und andrerseits die Interessen ihres Herausgebers, des Bundesverbandes der lokalen Deutsch-Polnischen Gesellschaften, nicht vernachlässigen. Diese Balance vor Störungen zu bewahren, bleibt eine ständige Herausforderung.

In jüngster Zeit monierten einige polnische Publizisten und Politiker, dass das, was zwischen Deutschen und Polen abläuft, kein Dialog sei. Es heißt, hier werde ein deutscher Monolog lediglich auf zwei Stimmen verteilt, zur Sprache komme nur, was die Deutschen hören möchten. Dazu wähle man sich polnische Gesprächspartner aus, die zur Fügsamkeit »erzogen«, im Klartext: korrumpiert wurden. Einmal abgesehen von dem Frust des einen oder anderen Kritikers, an dem so geschmähten Dialog nicht gebührend beteiligt zu sein, scheinen mir hierbei zwei Dinge durcheinander zu gehen. Einmal ist da die zutreffende Beobachtung, dass in den 90er Jahren der Dialog der Eliten sich von den zwiespältigen Alltagserfahrungen der Menschen und ihrer Mentalität abgelöst hat. Ohne Rücksicht auf gesellschaftlichen Tiefgang und auch ohne den religiösen Ernst der Sache selbst wurde die Vokabel »Versöhnung« rhetorisch zelebriert, bzw. verramscht. Zum anderen zeigt sich hier aber eine bizarre Vorstellung von Dialog. Offenbar wünscht man sich ihn als einen vom Prestige-Denken geleiteten nationalen Schlagabtausch, als verbale Keilerei, die das Gegenüber als »Feind« zu stilisieren erlaubt. Solcherart soll nationales Selbstbewusstsein oder Stolz demonstriert werden. Ich kann Souveränität darin nicht erkennen, eher einen mit überflüssigen Komplexen beladenen Provinzialismus.

Was im deutsch-polnischen Verhältnis gebraucht wird, praktiziert das Magazin, seinem Titel gemäß, seit nunmehr zwanzig Jahren: Zuhören, was der andere zu sagen hat, seine Meinung respektieren, auch wenn man ihr nicht zustimmen kann. Und gerade dann dem Partner keine Absicht unterstellen, die er nicht geäußert, oder die er gar ausdrücklich verneint hat. Übereinstimmung wird nicht immer erreicht werden können. Wichtiger erscheint mir aber, verstehen zu wollen, wie der andere denkt, was er fürchtet, was er wünscht. Kurz: erkennen, worin wir uns unterscheiden. Und wer nicht manisch das Zerwürfnis sucht, kann im Unterschied die Quelle schöner europäischer Vielfalt erkennen.

Dialog lebt von einem gewissen Vertrauensvorschuss, er stirbt am Gift des Misstrauens.

Angesichts grämlicher Stimmen und eingetrübter Stimmung ist dem Dialog zu wünschen, dass er ein verlässliches Organ sachlicher Information und sensibler, aber rationaler Reflexion unterschiedlicher, also auch gegensätzlicher Meinungen, bleiben möge. Auch der diesjährige Dehio-Kulturpreis hat einen würdigen Träger.