Marion Hartig
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Eisplakat vor historischer Architektur. Vor dem Rathaus in der polnischen Stadt Wrocław wird gefeiert.

Potsdamer Neueste Nachrichten • 18.08.2005

Die Veröffentlichung erfolgt mit freundlicher Genehmigung der Potsdamer Neuesten Nachrichten.

Viel los in Wrocław. Die Straßencafés sind voll, es wird in schicker Kleidung spaziert oder geshopt. In einer City, die wie neu aussieht. Schöne Häuser mit frisch gestrichenen Fassaden. Barock, flämische Renaissance, deutsche Backsteingotik, Moderne mit Glas. Alles fügt sich zu einem Stadtbild zusammen. Summierte Geschichte – saniert. Die mit knapp 640.000 Einwohnern viertgrößte Stadt Polens, die als wissenschaftliches und kulturelles Zentrum des Landes gilt, hat sich einen attraktiven Anstrich gegeben.

Das zeigen auch die Fotografien von Mathias Marx, die seit heute im Haus »Im Güldenen Arm« in der Elfleinstraße zu sehen sind. Im Auftrag des Deutschen Kulturforums Östliches Europa reiste der Potsdamer nach Wrocław, um seine Eindrücke der Stadt mit der Kamera festzuhalten – und nach Deutschland zu bringen. Seine Bilder wurden 2003 im Berliner Fernsehturm ausgestellt und unter anderem in Dresden, Wiesbaden und Herne gezeigt.

Früher hieß Wrocław Breslau. Die Einwohner waren Deutsche. Sie wurden nach dem Zweiten Weltkrieg vertrieben. In der Stadt, deren Gebäude 1945 zu 70 Prozent zerstört waren, siedelte man die ebenfalls vertriebenen ostpolnischen Lemberger an. Dann kam der Wiederaufbau, der Sozialismus und sein Ende. Eine Stadt im Wandel der Zeit, architektonisch und mental. War im Sozialismus zum Beispiel die deutsche Vergangenheit tabu, werden heute deutsche Inschriften an Häusern wieder freigekratzt. Junge Breslauer lernen Deutsch, um der Geschichte ihrer Stadt näher zu kommen.

Marx’ Fotografien sind Spiegel der Vergangenheit. Er zeigt einen Grabstein mit deutscher Inschrift auf dem jüdischen Friedhof, Kirchen, die zum Großteil saniert sind, einen Devotionalienladen, ein großes Papstbild im Schaufenster eines Zeitungskiosks, die bunten Fassaden am Hünermarkt. All das leuchtet dem Betrachter farbig entgegen. Die in der Stadt eingefangenen Stimmungsbilder wiederum sind schwarzweiß: Der Trubel am Rathaus, Pizzahut in der Abendsonne, Clowns auf Stelzen, Feuerkünstler.

Eine interessante farbliche Gegenüberstellung, die der Fotograf allerdings nicht konsequent umsetzt: Bei seinen Porträts hält er es mal so, mal so. Das Bild von den zwei Männer auf dem Marktplatz, die sich unterhalten und dabei die Schultern kraftlos hängen lassen, hat er in Schwarzweiß aufgenommen. Das sonnenbadende Mädchen auf dem grauen Balkon mit den roten Geranien bunt. Marx ist den Menschen nahe gekommen, er zeigt spannende Gesichter, in denen man gerne liest. Jedes für sich beginnt aber erst im Zusammenhang der Fotoschau zu erzählen – der Mensch als Teil der Stadt.

Sowie auch die Wrocław-Bilder erst in der Summe wirken: Das Foto der in einem Fastfood-Restaurant Schlange stehenden Jugendlichen neben dem Bild von einem Mädchen, das die gepflasterte Straße vor einem Haus fegt, von dem der Putz abblättert. Die Stadt – ein Konglomerat der Widersprüche. Holprige Straßen, marode Prachtbauten, gebeugte, arm aussehende Alte, Graffiti an grauen Häuserwänden. Auch das gibt es in Wrocław. Auch das zeigen die Bilder. Am Rande.

Der Fotobetrachter sieht die Innenstadt, die Sehenswürdigkeiten. So wie ein flüchtiger Besucher. Davon, das Wrocław einer der wichtigsten Industriestandorte Polens ist zum Beispiel bekommt er nichts zu sehen. Keine Schornsteine.

Glaubt man den Fotos, dann ist der Himmel über der schönen Stadt meist blau.



Vernissage heute um 19 Uhr.