Der Rezensent der Kulturpolitischen Korrespondenz empfindet die neuen, unverstellten Blicke, die Renata SakoHoess als slowakisch-deutsche Grenzgängerin auf die slowakische Hauptstadt wirft, als Glücksgriff
Von Volker Strebel

Kulturpolitische Korrespondenz № 1397, 25.10.2018

Pressburg/Bratislava, die Hauptstadt der Slowakei, liegt bis heute im Windschatten der Aufmerksamkeit. Während die Wahrzeichen Mitteleuropas, Budapest, Prag oder Wien, verdientermaßen große Aufmerksamkeit genießen, wird Bratislava oft zu Unrecht übersehen. Dabei hat sich diese Stadt an der Donau vom realsozialistischen Mausgrau zu einer modernen, pulsierenden Metropole entwickelt. Neben der wirtschaftlichen Prosperität überzeugt zudem die kulturelle Vielfalt der slowakischen Hauptstadt, die unmittelbar im »Länderdreieck« mit Österreich und Ungarn liegt.

Es stellt einen Glücksgriff dar, dass sich Renata SakoHoess als slowakisch-deutsche Grenzgängerin der Herausforderung gestellt hat, neue, unverstellte Blicke auf die slowakische Hauptstadt zu richten. Die Konzeption eines »Literarischen Reiseführers« kommt der 1961 in Bratislava geborenen studierten Slavistin in geradezu organischer Weise entgegen. Die Autorin hat sich mit Übersetzungen aus dem Slowakischen etwa des Schriftstellers Ivan Kadlecik, aber vor allem mit umfangreichen Reiseführern über die Slowakei einen Namen gemacht.

SakoHoess unterteilt ihren »Literarischen Reiseführer« in sechs Spaziergänge, die klug gewählt und übersichtlich strukturiert sind. In einem farbigen Ausschnitt aus dem Stadtplan sind die jeweiligen sehenswürdigen Objekte markiert, so dass eine Erkundung mühelos nachvollziehbar ist.

Geschickt vermag es die Autorin, die vorgestellten Örtlichkeiten wie etwa die weithin sichtbare Burg, aber auch Viertel der Altstadt und das Donauufer dem Besucher in bekömmlicher Weise näherzubringen. Sie berücksichtigt dabei architektonische wie auch lokalhistorisch bedeutsame Plätze, versteckte Gassen und historische Fassaden. Das, was Renata SakoHoess zeigen will, wird in besonderer Weise dadurch zum Leben erweckt, dass die Autorin gezielt Textbausteine verstorbener wie auch zeitgenössischer Historiker und vor allem Lyriker und Erzähler anführt. Der Bogen spannt sich dabei vom Barockgelehrten Matthias Bel über den Schriftsteller und Journalisten Mór Jókai, Mitglied der Ungarischen Akademie der Wissenschaften, bis zu Autoren wie etwa Vlado Bednár oder Michal Hvorecký. Dabei ist es ihr, ganz im Geiste der Stadt, völlig gleichgültig, ob es sich um deutsche, slowakische, tschechische oder ungarische Persönlichkeiten handelt.

Die slowakische Bezeichnung Bratislava ist relativ jung und wurde erst 1919 in der Folge der Gründung der ersten Tschechoslowakischen Republik eingeführt. Über Jahrhunderte hinweg war Pressburg eine vornehmlich von Deutschen bevölkerte Stadt im Königreich Ungarn. Die hier lebenden Ungarn nannten über Jahrhunderte ihre Krönungsstadt Pozsony, und in alten Dokumenten findet sich die Bezeichnung Prešporok, die vom slowakischen Bevölkerungsteil verwendet wurde.

Den vitalistischen Lebensnerv dieser Stadt und seiner Bewohner über alle nationalen Ausrichtungen hinweg trifft Béla Hamvas (1887–1968) in seinem Werk Philosophie des Weins:

»Trinkt Wein! Dann werdet ihr schon Lust bekommen zum Küssen, zum Blumenpflücken, zur Freundschaft, zum guten, tiefen Schlaf, zum Lachen, und statt der Zeitung werdet ihr am Morgen Dichter lesen.«

Abgerundet wird die sorgfältige Aufbereitung dieses literarischen Reiseführers nicht nur durch ein Literatur-, Orts- und Personenverzeichnis, sondern auch durch eine tabellarische Geschichte der Stadt Pressburg von den Anfängen bis heute. Zusätzlich bietet eine Reihe von Kurzbiographien weiterführende Informationen. Diese kurze Vorstellung historischer und zeitgenössischer Persönlichkeiten gibt zugleich Auskunft über eine bewegte Historie, wechselnde Machthaber und eine komplexe Kulturgeschichte.

Dem heutigen Besucher drängt sich in der Hauptstadt der Slowakei der lebhafte Eindruck auf, dass nach einem Jahrhundert nationalistischer wie ideologischer Verirrungen auch diese mitteleuropäische Metropole samt Hinterland wieder ihren angestammten Platz in Europa einzunehmen begonnen hat. Die im heutigen Bratislava anzutreffende Dynamik wird umso nachhaltiger ausfallen, als es ihr gelingt, kulturelle Kraft aus den gewachsenen mitteleuropäischen Traditionen zu schöpfen.

Renata SakoHoess: Pressburg/Bratislava. Literarischer Reiseführer. Deutsches Kulturforum östliches Europa, Potsdam 2017, 276 Seiten, 14,80 Euro

Zwischen drei Ländern, vier Literaturen
Der Originalartikel auf den Internetseiten der Stiftung Deutsche Kultur im östlichen Europa – OKR

Die Veröffentlichung dieses Textes, erschienen in Ausgabe 1397, erfolgt mit freundlicher Genehmigung des Pressedienstes Kulturpolitische Korrespondenz – Berichte, Meinungen, Dokumente, herausgegeben von der Stiftung Deutsche Kultur im östlichen Europa – OKR.