Ausstellung, Konzert, Vorträge, Lesungen und Gespräche im Slowakischen Institut Berlin
von Tanja Krombach
1
Zuhörer beim Eröffnungskonzert, v. li. n. re.: Brunhilde Reitmeier-Zwick und Walter Greschner, stellv. Bundesvorsitzende und Bundesvorsitzender der Karpatendeutschen Landsmannschaft, Ivan Korčok, Botschafter der Slowakischen Republik, Dr. Ondrej Pöss, Dir
Andrang am Büchertisch mit Titeln über slowakische und karpatendeutsche Landeskunde, Geschichte und Literatur sowie im Verlag des Kulturforums erschienenen Publikationen
Andrea Kluknavska, Vorsitzende der karpatendeutschen Jugendorganisation in der Slowakei IkeJa
Christoph Haacker, Chef des Arco Verlages, bei seiner Lesung und der Autor Michael Okroy
Literarisches Gespräch über Bratislava/Pressburg/Pozsony mit Ondrej Pöss, Selma Steiner, Renata SakoHoess, Michal Hvorecký, Peter Macsovszký und der Dolmetscherin Marcela Adamíková (v. li. n. re.)
Olga Blauová vom Slowakischen Institut und Selma Steiner
Michal Hvorecký und Peter Macsovszký
Der slowakische Botschafter Ivan Korčok bei seiner Eröffnungsrede | Daniela Hlinková und Damien Ventura beim Vernissage-Konzert
Ondrej Pöss beim Einführungsvortrag zur Ausstellung über die Karpatendeutschen
Dr.Dušan Kováč, Slowakische Akademie der Wissenschaften, bei seinem Vortrag über die Geschichte der Minderheiten in der Slowakei
Professor Max Matter berichtet von seinem Forschungsprojekt über karpatendeutsche Jugendorganisationen in der Slowakei
Kontroverse Diskussion nach dem Vortrag von Professor Matter

 

Zur Eröffnung der Ausstellung über die Geschichte der Karpatendeutschen präsentierte das Deutsche Kulturforum östliches Europa vom 10. bis 12. November 2006 ein Veranstaltungswochenende mit Autoren und Fachleuten aus der Slowakei und Deutschland. Zur Vernissage sprach der Botschafter der Slowakischen Republik, S. E. Ivan Korčok. Er brachte unter anderem seine Freude darüber zum Ausdruck, dass sich die Karpatendeutschen ihrer Aussage nach auch von ihm vertreten fühlen, und wies auf die am 23. September 2006 vollzogene Enthüllung einer Gedenktafel zur Erinnerung an die Vertreibung am Museum der Kultur der Karpatendeutschen in Bratislava hin. Dr. Ondrej Pöss, der Direktor dieses Museums, aus dem die vom Kulturforum und vom Slowakischen Institut nach Berlin geholte Ausstellung stammt, hielt eine Einführungsrede. Im Anschluss waren beim Konzert mit der in Berlin lebenden slowakischen Pianistin Daniela Hlinková und dem französischen Cellisten Damien Ventura Stücke mit Bezug zur Slowakei zu hören. Die beiden Musiker brachten die virtuosen Variationen über die Monferina aus Glucks Oper Armida des in Pressburg geborenen Komponisten Johann Nepomuk Hummel zu Gehör und spielten von der slowakischen Folklore inspirierte Stücke von Bohuslav Martinů sowie Klaviermusik von Eugen Suchoň, dem wohl bedeutendsten slowakischen Komponisten des 20. Jahrhunderts.

Am nächsten Vormittag wurden in drei Vorträgen Aspekte der Geschichte und Kulturgeschichte der Deutschen in der Slowakei vorgestellt. Dr. Dušan Kováč von der Slowakischen Akademie der Wissenschaften und Vorsitzender des slowakischen Teils der Deutsch-Slowakischen Historikerkommission beleuchtete die Geschichte der deutschen und anderer Minderheiten in seinem Land. Im Anschluss präsentierte der Historiker Dr. Ivan Chalupecký die Geschichte und Kultur Levočas/Leutschaus und anderer von Deutschen gegründeter Städte der historischen Region der Zips. Sein von zahlreichen Denkmal- und Architekturaufnahmen begleiteter Vortrag begeisterte die Zuhörer und regte zur Entdeckung dieser großartigen Natur- und Kulturlandschaft an. Dr. Jörg Meier, Germanist und Vorsitzender des Karpatendeutschen Kulturwerks Slowakei, stellte das spannende und wenig bekannte Thema der Literatur der Deutschen in der Slowakei vor. Herr Dr. Meier machte mit zahlreichen wichtigen Strömungen und Namen von europäischer Bedeutung bekannt und wünschte sich zum Abschluss, dass sein Thema endlich auch von anderen Wissenschaftlern und Herausgebern aufgegriffen und weiter bearbeitet würde – viele unbekannte Werke harren immer noch ihrer Wiederentdeckung.

Die Vorträge des Nachmittags informierten aus verschiedenen Blickwinkeln über die heutige Situation der Deutschen in der Slowakei. Ondrej Pöss wies auf die teilweise immer noch schwierige Situation hin. Dazu gehört etwa das Problem, dass man sich als kleine Minderheit nicht auf dem Volkszählungsbogen wiederfindet. Herr Dr. Pöss hob aber das zunehmende Interesse der slowakischen Gesellschaft an ihrer deutschen Geschichte hervor und wies wie der Botschafter auf die Bedeutung der Enthüllung der Tafel zum Gedenken an die Vertreibung der Karpatendeutschen hin. Professor Max Matter, Ethnologe aus Freiburg, der sich schon seit vielen Jahren mit der Erforschung der deutschen Minderheit in der Slowakei beschäftigt, stellte die Ergebnisse seines Forschungsprojekts über deutschstämmige junge Leute und ihre Verbände in der Slowakei vor, das er Ende der 1990er Jahre gemeinsam mit Studenten durchgeführt hatte. Seine Ergebnisse gaben ihm Anlass zu kritischen Fragen, etwa zum Bild der deutschen Kultur der karpatendeutschen Jugendorganisationen, das sich oft auf Volkstänze und -lieder beschränke, und hinsichtlich ihrer Aktivitäten, die von der Bundesregierung finanziell unterstützt werden und deren Attraktivität gemäß der Aussage der Mitglieder teilweise nur aus »Party machen« besteht. Professor Matter stellte auch einen hohen Anteil an so genannten Sympathisanten fest, die selbst keine deutschen Wurzeln haben. Im Anschluss an seinen Vortrag zeigte die neue Vorsitzende der karpatendeutschen Jugendorganisation Internationale Kontakte Jugendarbeit – Karpatendeutsche Jugend (IkeJa), Andrea Kluknavska, die Veränderungen in der Arbeit ihrer Organisation auf. Die Jugendlichen restaurieren z.B. alte deutsche Friedhöfe und versuchen das Deutsche als Umgangssprache untereinander durchzusetzen. Sie wies aber auch darauf hin, dass man Jugendliche eben am besten über Dinge, die Spaß machen, wie Konzerte oder Sportveranstaltungen, erreichen könne. Attraktiv sei zudem das Sprachangebot auch für junge Leute ohne deutsche Wurzeln, auf deren Teilnahme man ja angewiesen sei, um den Verein am Leben zu erhalten. Nach den Vorträgen kam es zu einer lebhaften Diskussion mit dem Publikum. Viele der Anwesenden waren der Meinung, dass die Kritikpunkte von Herrn Professor Matter nicht gerechtfertigt seien, es gab aber auch Stimmen, die ihm für seine ihrer Meinung nach bedenkenswerten Ausführungen dankten.

Zu einem informativen und literarischen Abschluss des Tages lud die Präsentation des Buches Kaschau war eine europäische Stadt. Ein Reise- und Lesebuch zur jüdischen Kultur und Geschichte in Košice und Prešov ein. Der Autor Michael Okroy hielt einen differenzierten Vortrag über das früher vom jüdischen Bürgertum geprägte Košice/Kaschau, mit dem die Stadt Wuppertal, Sitz des Arco Verlags, in dem das Buch erschienen ist, zu Beginn der 1980er Jahre eine der ersten bundesrepublikanischen Städtepartnerschaften in Osteuropa einging. Dies war für Michael Okroy, der sich seit vielen Jahren mit der Lokalgeschichte des Nationalsozialismus und der Vernichtung der Juden auseinandersetzt, auch der Anlass gewesen, die jüdische Geschichte der ostslowakischen Metropole zu untersuchen. Die zahlreichen literarischen Texte über das multikulturelle Leben der Städte Košice und Prešov von Autoren wie Egon Erwin Kisch, Sándor Márai, Fritz Beer und Eduard Goldstücker trug der Verleger Christoph Haacker in einer mitreißenden Lesung vor, die ihm viele Komplimente aus dem Publikum bescherte.

Der krönende Abschluss des Wochenendes fand am Sonntag in Gestalt eines vormittäglichen literarischen Gesprächs über die früher dreisprachige Donaumetropole Bratislava/Pressburg/Pozsony statt. Die aus Bratislava stammende und in München lebende Publizistin und Übersetzerin Renata SakoHoess stellte alte und neue Texte über die Stadt vor und befragte ihre Gesprächspartner, die die verschiedenen Kulturen und Ethnien Bratislavas repräsentieren, zu ihren Biografien und dem literarischen Leben vor Ort. Besonders beeindruckend waren die Erzählungen von Selma Steiner, Inhaberin der seit über hundert Jahren bestehenden berühmten gleichnamigen Familienbuchhandlung, deren Antiquariat Anziehungspunkt und Fundgrube für viele deutschsprachige Touristen ist. Selma Steiner berichtete von den Verfolgungen der Nazizeit, während der der Großteil ihrer Familie umgebracht wurde, wie es ihr gelang zu überleben, ihrer Rückkehr nach Bratislava nach dem Krieg und der Wiedereröffnung des Geschäftes nach der Wende. Durch eine von ihr initiierte Buchreihe im slowakischen PT Verlag trägt Selma Steiner dazu bei, dass die Welt des alten Pressburg nicht in Vergessenheit gerät. Erschienen sind bisher bebilderte Nachdrucke wie Malerische Winkel und Höfe aus dem alten Pressburg von Karl Benyovszky (Erstausgabe 1932) oder die slowakische Übersetzung des Illustrierten Führers durch Pozsony (Pressburg) von Emil Kumlik nach der bei der Verlagsbuchhandlung Steiner publizierten Erstausgabe von 1907. Die Übersetzungen dieser Werke ins Slowakische machen die deutschsprachige Pressburger Kultur auch unter den heutigen Lesern bekannt. Im PT-Verlag wurde auch ein Buch über das Antiquariat Steiner veröffentlicht (Martin Trančík, Zwischen Alt- und Neuland. Die Geschichte der Buchhändlerfamilie Steiner in Pressburg). Die deutschsprachigen Bücher des PT Verlages sind über das Deutsche Kulturforum östliches Europa zu beziehen.

Michal Hvorecký, der junge slowakische Shooting-Star, der auch in Deutschland mit seinem Roman City: Der unwahrscheinlichste aller Orte durch Rezensionen in allen großen Zeitungen und durch zahlreiche Auftritte schnell bekannt wurde, wies darauf hin, dass auch er karpatendeutsche Vorfahren hat, was bisher den wenigsten seiner Leser bekannt gewesen sein dürfte. Er las Passagen aus seinem Roman vor, die sich mit den Vorurteilen westlicher Gesprächspartner über Bratislava auseinandersetzen und charakterisierte den slowakischen Literaturbetrieb als bisher wenig entwickelt. Vielmehr sei bei den jungen slowakischen Autoren eine gewisse Scheu vor der Öffentlichkeit zu beobachten, was sein Kollege Peter Macsovszký, der als Vertreter der ungarischstämmigen Literaten der Stadt mitdiskutierte, bestätigen konnte.

Ondrej Pöss, der ebenfalls an der Gesprächsrunde teilnahm, wies in seinem Beitrag – anknüpfend an die Lebensgeschichte von Frau Steiner – auf die Tragik der Vernichtung des multikulturellen Lebens der Stadt und des Landes im 20. Jahrhundert hin. Alle Teilnehmer wünschten sich, dass mehr Westeuropäer die Schönheit und den vielfältigen kulturellen Reiz Bratislavas und der Slowakei entdecken. Das Podiumsgespräch und die gesamte Wochenendveranstaltung sollten auch hierzu einen Beitrag leisten.

Deutsche in der Slowakei
Wochenendveranstaltung mit Ausstellung, Konzert, Vorträgen und Lesungen

Die Zips
Multikulturelle Geschichte und Gegenwart einer mitteleuropäischen Region