Tanja Krombach
Das Treffen der ehemaligen Stipendiaten der Robert-Bosch-Stiftung fand in diesem Jahr in der tschechischen Hauptstadt Prag statt. Blick über die Moldau auf die Kleinseite/Malá strana mit den Kleinseitner Brückentürmen und der Kirche St. Nikolaus/sv. Mikul
Prag, im Hintergrund die Teynkirche/Týnský Chram

Vorträge und eine Podiumsdiskussion • Teilnehmer: Petr Drulák (Institut für Internationale Beziehungen, Prag), Vladimír Eck (tschechischer Landwirtschafts- und Interventionsfonds), Tomáš Kafka (Deutsch-Tschechischer Zukunftsfonds), Tanja Krombach (Deutsches Kulturforum östliches Europa), Luboš Palata (Tageszeitung Lidové Noviny), Martin Svárovský (tschechische Botschaft in Budapest), Jiří Veselý (tschechisches Außenministerium),

Seit dem Jahr 2000 fördert die Robert-Bosch-Stiftung mit ihrem Stipendienprogramm Nachwuchsführungskräfte aus Polen, Tschechien, der Slowakei und Ungarn. Ein Jahr lang können diese in deutschen Bundes-, Landes- und Kommunalbehörden oder in privaten Einrichtungen arbeiten und sich so mit der deutschen Verwaltung und europäischen Vorschriften vertraut machen.

Am 4. März 2005 trafen sich die ehemaligen Stipendiaten in Prag, um gemeinsam über Mitteleuropa und die zukünftige Zusammenarbeit der Visegrad-Länder zu diskutieren.

Das Programm bestand aus Vorträgen und einer Podiumsdiskussion mit Vladimír Eck, stellvertretender Direktor des tschechischen Landwirtschafts- und Interventionsfonds, Luboš Palata von der Tageszeitung Lidové Noviny, Martin Svárovský von der tschechischen Botschaft in Budapest und der Verfasserin dieses Artikels. Petr Drulák, Direktor des Instituts für Internationale Beziehungen in Prag, hielt eine informative und zugespitzte Vorlesung über die Trennung zwischen Tschechien und der Slowakei. Das Thema Visegrad erörterten die Teilnehmer nach einem Vortrag des ehemaligen Bosch-Stipendiaten Jiří Veselý vom tschechischen Außenministerium und im Rahmen der Podiumsdiskussion, die von Tomáš Kafka, Geschäftsführer des Deutsch-Tschechischen Zukunftsfonds, geleitet wurde. Während sich der Vortrag mit der Geschichte der Visegrad-Zusammenarbeit seit 1991 beschäftigte, ging es in den Diskussionen um deren gegenwärtige und zukünftige Möglichkeiten innerhalb der EU. Veselý ging auf die Wiederbelebung des Mitteleuropa-Begriffs ein – ausgelöst durch den 1984 erschienenen Essay Die Tragödie Mitteleuropas von Milan Kundera – der die Vorstellung der westlichen Welt von einem einheitlichen »Ostblock« aufbrechen und zugleich eine Abgrenzung gegenüber dem kommunistischen Totalitarismus osteuropäischer Prägung signalisieren sollte. Nach der Auflösung des Warschauer Paktes 1991 trafen sich die Staatschefs Ungarns, Polens und der Tschechoslowakei im ungarischen Visegrad und legten den Grundstein für ihre Zusammenarbeit. Hier verpflichteten sie sich auch, dem politisch-wirtschaftlichen System Europas beizutreten.

Vorbild für osteuropäische Nachbarn

Bis zum tatsächlichen EU-Beitritt der Länder am 1. Mai 2004 war das Miteinander verschiedenen Schwankungen unterworfen. Zwischen 1992 und 1998 verlief die Zusammenarbeit der Visegrad-Staaten eher auf bilateraler Ebene, was auch durch das Auseinanderfallen der Tschechoslowakei und die zeitweilige Isolierung der von ihrem autoritären ersten Ministerpräsidenten Mečiar geführten Slowakischen Republik bedingt war. Wirklich erfolgreich war in dieser Zeit lediglich die Einrichtung einer Visegrad-Freihandelszone. Mit dem Regimewechsel in der Slowakei 1998 wurde die Zusammenarbeit der vier Länder neu belebt – wenn sich auch jeder Staat individuell auf seinen EU-Beitritt vorbereitete.

Nachdem dieser vollzogen ist, stellt sich die Frage, wie die bisherige Zusammenarbeit weiter gestaltet werden soll. Weder in den Ländern selbst noch in anderen Teilen Europas ist einer breiten Öffentlichkeit wirklich bekannt, dass täglich eine auf Visegrad basierende Arbeitsbegegnung stattfindet, sei es auf ministerieller oder auf zivilgesellschaftlicher Ebene. Eine wichtige Funktion hat hierbei auch der Visegrad-Fonds, der interregionale wissenschaftliche, ökologische und kulturelle Projekte unterstützt, oder die Visegrad-Stipendien, in deren Genuss nicht nur Studenten aus den vier Ländern, sondern auch aus Osteuropa gelangen können.

Eine erfolgreiche Positionierung innerhalb der EU erreichte die Visegrad-Gruppe durch ihr gemeinsames Auftreten bei der Unterstützung der »orangenen Revolution« in der Ukraine. Die Visegrad-Länder werden von ihren osteuropäischen Nachbarn als Vorbild gesehen, die den Übergang vom kommunistischen Block zur demokratischen EU erfolgreich gemeistert haben. Sie bieten Staaten wie der Ukraine ganz konkrete Hilfe beim Aufbau einer demokratischen lokalen Selbstverwaltung an. Hier zeichnet sich eine wichtige Rolle der ostmitteleuropäischen Länder innerhalb der EU ab. Aufgrund ihrer Erfahrung mit dem Totalitarismus weisen sie oft eine höhere Sensibilität in Bezug auf die Gefährdung von Freiheit und Menschenrechten auf – zuletzt augenfällig bei Tschechiens erfolgreichem Protest gegen die Entscheidung der EU-Staaten, kubanische Dissidenten nicht mehr in ihren Botschaften zu empfangen.

Luboš Palata: Kopenhagen 2002 war die größte Niederlage Visegrads

Darüber hinaus verbinden die Visegrad-Länder weiterhin »harte« politische Ziele. Dazu gehören die Mitgliedschaften in der Euro-Zone und im Schengen-Raum, der Kampf um Mittel aus dem EU-Strukturfonds und die politische Stabilität ihrer östlichen Nachbarländer. Luboš Palata wies darauf hin, dass die Visegrad-Zusammenarbeit besonders gut auf dem Gebiet des Kultur- und Schulwesens funktioniert. Bei jungen Leuten das Interesse für die Kultur der anderen Visegrad-Länder zu wecken und zu unterstützen, ist eine wichtige Aufgabe der Gruppe – besonders im Hinblick auf die auch in Ostmitteleuropa starke kulturelle Westorientierung vieler Menschen.

Nach den Beobachtungen mehrerer Diskussionsteilnehmer erlebt die Idee der Visegrad-Zusammenarbeit allerdings immer dann eine Renaissance, wenn die einzelnen Länder sich mit ihren Interessen gegenüber der EU allein nicht durchsetzen können. Vladimír Eck erinnerte daran, dass die der Visegrad-Gruppe angehörenden Staaten hinsichtlich ihrer wirtschaftlichen Struktur doch sehr unterschiedlich sind. Polen fällt schon aufgrund seiner Größe heraus, es steht mit dem ebenfalls stark landwirtschaftlich ausgerichteten Ungarn in Konkurrenz um die entsprechenden EU-Mittel. Zwischen der Slowakei und Ungarn gibt es wiederum Unstimmigkeiten in Bezug auf die Rechte der ungarischen Minderheit.

Nach 1989 stand hinter der Idee des Visegrad-Zusammenschlusses der Traum der Dissidenten von der gemeinsamen Systemveränderung, die ja auch erfolgreich mit vereinter Kraft bewältigt wurde. Durch den Übertritt in die freie Marktwirtschaft gerieten jedoch die einzelnen Länder untereinander in Wettbewerb. Heute zählen oft nur noch die von Fall zu Fall übereinstimmenden Interessen und nicht mehr die gemeinsame Vision. Im Laufe der Visegrad-Zusammenarbeit war aber auch zu beobachten, dass ihre unterschiedlichen Intensitäten durch die politischen Wechsel in den einzelnen Ländern bedingt waren.

Als größte Niederlage Visegrads bezeichnete Luboš Palata die Beitrittsabschlussverhandlungen mit der EU. Beim Kopenhagener Gipfel 2002 sei es den Teilnehmern aus den alten EU-Staaten gelungen, die Visegrad-Länder auseinander zu bringen, so dass besonders schwierige Beitrittsbedingungen für sie bestimmt werden konnten. Martin Svárovský berichtete von seinen Visegrad-Erfahrungen und wies darauf hin, dass vor allem die Funktionsweise der Visegrad-Arbeitsgruppen hinsichtlich der Entscheidungsmöglichkeiten der einzelnen Ländervertreter noch professionalisiert werden müsse.

Visegrad soll niemals einen homogenen Block bilden

Alle Diskussionsteilnehmer stimmten darin überein, dass die Visegrad-Staaten niemals einen homogenen Block bilden sollten, was gegen den Grundgedanken der EU spräche. Diese Gefahr besteht auch kaum, da Offenheit und Flexibilität einer der Visegrad-Grundsätze ist. Es gibt zahlreiche Informations- und Arbeitstreffen der Visegrad-Mitglieder mit anderen Ländern Mitteleuropas wie Deutschland, Österreich oder Slowenien, aber auch mit den BeNeLux-Staaten oder den USA und Japan. Mit Staaten außerhalb der Visegrad-Gruppe werden ihre Mitglieder auch immer wieder unabhängig von Visegrad zusammenarbeiten, so wie sich Polen in seiner Haltung zum Irak-Krieg mit Spanien verbündete oder Tschechien in der Frage der EU-Verfassung eine Koalition mit anderen kleineren Mitgliedsländern aufbaute.

Die Diskussion kam zu dem Schluss, dass die bereits erfolgreich arbeitenden Strukturen der Visegrad-Gruppe erhalten bleiben und verbessert werden sollten. Die Mitgliedstaaten sollten sich ihrer übereinstimmenden Interessen innerhalb der EU bewusst sein und sie gemeinsam verteidigen. Von Vorteil wäre sicherlich auch eine koordinierte Öffentlichkeitsarbeit, die Presse und interessierte Bürger in ganz Europa über die Visegrad-Kooperationen auf dem Laufenden hält.